Wohin mit der Angst Teil 2

Die Angst inmitten der Achterbahn der Gefühle

Keine zwei Wochen und eine Achterbahn der Gefühle später sind „wir“ nun doch ausgeschieden. Nach frischem, frechen Spiel gegen England mit einer Portion Dusel und einer Kostprobe von überirdischem Fußball gegen das Team Maradonas nun die harte Bauchlandung gegen Spanien.
Und wie lauten die Erklärungen für diese unerwartete Pleite der Mannschaft, die doch schon vorzeitig weltweit das Recht auf den WM-Titel zugesprochen bekommen hatte? Man habe „mutlos“ gespielt. Wie ist das zu erklären, dass unsere Jungstars es doch wieder mit der Angst zu tun bekamen?

Eigentlich ist das Muster ganz einfach zu erkennen: immer wenn es mehr zu verlieren als zu gewinnen gab, hatten sie Angst. Das war nach dem grandiosen Start in der Vorrunde der Fall, der nicht mehr zu toppen schien. Und jetzt wieder, als nach famosen Auftritten in Achtel- und Viertelfinale das Endspiel schon so gut wie sicher schien, aber das Halbfinale leider noch nicht ausgetragen war. Sowas macht Angst. Es gibt nichts mehr zu gewinnen, weil der Sieg ja schon eingeplant ist. Aber er kann noch verspielt werden. Womit wir wieder bei der Frage wären: wohin mit der Angst?

Was mich beim Fußball unter anderem so fasziniert, ist, wie er uns Projektionsflächen für den Umgang mit unseren Gefühlen und unseren Strategien der Lebensbewältigung anbietet. Die Identifikationsmöglichkeiten sind scheinen weltweit wirksam. Und der Jubel in dem einen Land korrespondiert notwendigerweise mit der Trauer im anderen. Tragische Helden wie der ghanaische Stürmer Gyan, der die Hoffnungen eines ganzen Kontinents in buchstäblicher letzter Sekunde an die Latte donnert, sie spiegeln uns unser urmenschliches Drama, das sich zwischen Gelingen und Scheitern immer wieder neu aufspannt, und das im Flachland verödet, wenn alles seinen abgesicherten voraussehbaren Lauf nimmt.

Aber der Preis der Unvorhersehbarkeit des Fußballs ist – Ungewissheit. Und wenn wir diese nicht voll und ganz begrüßen – und wer mit ein bißchen Leidenschaft im Herzen kann das schon, wenn die eigenen Helden auf den Platz laufen? – dann ist der Preis die Angst. Und wieder einmal mussten wir Zeuge werden, wie unser Team spielte als hätten sei Blei in den Adern, wo Tage zuvor noch Champagner sprudelte.

Indem wir unsere Angst verleugnen oder mit plumpem positiv Denken zu entsorgen trachten, kehrt sie oft im ungünstigsten Moment zurück. Das ist das menschliche Drama, das uns Lahm & Co vorspielen. Ich empfinde große Dankbarkeit und Zuneigung dafür, das miterleben zu dürfen. Und ich plädiere dafür, der Angst Würdigung zuteil werden zu lassen, und ich bin neugierig, welche Wirkung das auf den Fußball haben könnte. Für die Trauer haben unsere Jungs das schon weitgehend geschafft. Lahm scheut sich nicht, mit Tränen in den Augen und gebrochener Stimme ein Interview zu geben und zu seiner Trauer zu stehen. Das berührt mich.

Ich erlebe zuweilen, wie es in meinem Leben wirkt, wenn ich meine Angst soweit umarme, dass sie mich nicht mehr blockiert, sondern mich wieder frei gibt für mein eigentliches Spiel, genannt mein Leben.

Und was meinen Sie, wenn ich Sie frage: wohin mit der Angst? Trauen Sie sich zu antworten? Oder lieber nicht?

In jedem Fall grüße ich Sie herzlich

Saleem Matthias Riek

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Wohin mit der Angst?

Vor dem entscheidenden Vorrunden Endspiel gegen Ghana waren sich alle deutschen Spieler inklusive Trainer demonstrativ einig, dass man keine Angst habe vor der Blamage, schon nach der Vorrunde aus dem Turnier auszuscheiden. Man war sich sicher, weiter zu kommen. Und so kam es dann auch. 1:0, Deutschland ist eine Runde weiter. Soweit so überzeugend.
Wenn da nicht auch das übernervöse Spiel der deutschen Mannschaft gewesen wäre. Und im Nachhinein wurde es dann auch zugegeben: diese jungen Spieler hätten eben Angst gehabt, als erste deutsche WM Auswahl in der Vorrunde zu scheitern und so in die WM-Historie einzugehen. Kann man ja verstehen. Aber warum konnte oder wollte das vorher keiner zugeben?

DFB Team

Wie im Fußball, so im Leben. Die Faszination Fußball ist weltweit so groß, da müssen ganz archaisch-menschliche Qualitäten angesprochen sein, die zum Ausdruck kommen und kulturübergreifend reichlich Identifikationsmöglichkeiten schaffen. Und eine davon ist: wie gehen wir damit um, wenn wir vor etwas Angst haben? Und wenn dies unserer Ansicht nach auf keinen Fall passieren darf? Sind wir uns dann sicher, dass der Fall nicht eintreten wird? So wie bei Atomkraftwerken, bei Finanzkrisen oder demokratischen Wahlen?

Was spricht dagegen, uns unsere Angst einzugestehen? Philip Lahm als deutscher Kapitäne tat freimütig kund, das habe er bei Bayern München gelernt: sich nur das Positive vorstellen, sich mit dem Negativen gar nicht erst zu beschäftigen. Klingt, als haben die Bayern-Verantwortlichen das Buch „The Secret“ gelesen: wir müssen eben einfach dran glauben, dann wird das schon! Ich frage mich ja schon lange, was passieren würde, wenn auch andere Trainer das Buch lesen, entsprechend vorgehen und dann keiner mehr verlieren kann. Wer würde dann die WM gewinnen?

Aber hat nicht auch ein anderer deutscher Kapitän – er ließ sich allerdings Führer nennen – ganz fest an den Endsieg geglaubt? Und dann auch noch jeden Zweifel daran bis zum bitteren Ende gnadenlos verfolgt? Ein sehr böser Vergleich, ich gebe es zu. Und ich mag Philip Lahm, er ist ja absolut unschuldig in seiner Art, und sein sehr menschlicher Führungsstil ist gerade auch für eine deutsche Mannschaft aller Ehren wert. Aber diese Philosophie des „Bloß die Angst nicht spüren, bloß keine Angst vorher zugeben, sonst geht es schief“, die hat eben durchaus ihre Gefahren. Siehe Weltklima, siehe Wirtschaftsystem, siehe Gentechnik, etc. pp.

Rede ich nun also der deutschen Sekundärtugend, dem sich Sorgen machen, das Wort? Nein. Ich plädiere mal wieder dafür, das Paradox anzuerkennen, das darin liegt, uns voll und ganz für das zu engagieren, was wir uns wünschen, und an seinen Erfolg zu glauben, UND die Ängste dabei nicht zu verdrängen, sondern sie anzuerkennen und sie dann quasi auf den „Beifahrersitz“ zu setzen. Sie dürfen dasein. Wir fühlen sie, und sie kann unsere Motivation sogar noch beflügeln. Aber am Steuer, da sitzt doch am besten die Seite, die weiß wo ich hin will.

So werde ich also das Spiel gegen England morgen voller Zuversicht anschauen, gepaart mit meiner Sorge, dass „wir“ doch auch ausscheiden könnten, und mir selbst bei meinen Gefühlsachterbahnen zuschauen und sie genießen. Und mich daran erinnern, es ist ja „nur“ Fußball.

Aber, in diesen Tagen, da sich Angela Merkel anschickt, den G20 Gipfel der Regierungschefs für einen Besuch des Schicksalsspiels Deutschland gegen England kurzzeitig zu schwänzen, was kann da eigentlich noch wichtiger sein als Fußball?

Ich grüße Sie herzlich

Saleem Matthias Riek

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Nachrichten, die wir gerne lesen würden – Vol. 1

Reichendemo am Starnberger See

Nach der Kritik, die die schwarz-gelben Koalition schon von allen Seiten einstecken musste, jetzt auch das noch: die Reichen mucken auf. Auf Plakaten und in Sprechchören fordern Sie: „Besteuert uns endlich so, wie wir es verdienen!“ Und „lieber in sozialen Frieden investieren als den Ruin der freien Marktwirtschaft und des Finanzsystems riskieren!“ © Die Zeit
Bei strahlend blauem Himmel sind Sie zu hunderten als ein buntes Völkchen auf der Seepromenade von Starnberg unterwegs, wo sonst nur die Schönen und Reichen die neuesten Modekollektionen aus Paris oder Milano zur Schau stellen. Aber auch diese Gruppe ist heute hier zahlreich vertreten. Der sonst zu ihrer Garderobe passende leicht überhebliche Gesichtsausdruck ist heute einer erfrischen Lebendigkeit und engagierten Entschlossenheit gewichen, obwohl das in all den per Lifting gestrafften Gesichtszügen gar nicht so leicht zu erkennen ist.

Die Wochenzeitung die Zeit hatte vergangene Woche, am 17. Juni 2010, schon gemeldet:
„ Die Reichen seien bereit, ihren Beitrag zu leisten. Das ist auch das Ergebnis einer Studie, für die der Reichenforscher Thomas Druyen 500 Vermögende befragte. Demnach sind die Reichen in ihrer Bereitschaft zu geben weiter als erwartet. Drei Viertel der Befragten würden gern mehr Verantwortung übernehmen.“

Am Rande der Veranstaltung machte das Gerücht die Runde, dass ab nächsten Montag jede Woche eine Demo Kö auf der Münchner Maximilianstrasse und zeitgleich auf der Düsseldorfer Königsallee stattfinden werde, solange bis das Steuersystem die wirklich Vermögenden gerecht an den gewaltigen gesellschaftlichen Aufgaben beteilige. Der Slogan – dies sickerte bereits durch – werde dann „Wir sind das Geld!“ lauten. Wie das zu verstehen sei, das wollte vor der Kamera niemand kommentieren.

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Vom faulen Apfel zum Finanzmakler

Wie Sie aus einem faulen Apfel mehr machen können.

Fauler Apfel Stellen Sie sich vor, Sie beißen in einen Apfel. Er sieht gut aus, aber beim Reinbeißen merken Sie, das er innen faul ist. Der Vorfall ist ja eigentlich ganz alltäglich. Aber was machen wir draus? Hier können Sie erfahren, wo und wie Sie im Leben die Weichen stellen.

0. Sie machen sich gar nichts draus.

Sie beißen hinein, merken, dass er faul ist, werfen ihn weg, und damit ist die Sache erledigt.

Nun ja, da läge mehr drin, meinen Sie nicht auch?
Hier finden Sie vier Möglichkeiten, mehr daraus zu machen. Auch geeignet zur Selbstdiagnose. Sind Sie Typ a, b, c, oder gar d?

1. Mit Hilfe Ihrer Gefühle wird schon mehr draus:

Sie beißen hinein, merken dass er faul ist, und
a) fangen an sich zu ärgern.
b) bekommen es mit der Angst zu tun.
c) werden traurig.
d) freuen sich.

2. Und Ihre Gefühle kommen ja nicht von ungefähr, Sie haben gute Gründe,
schließlich…
a) … war der Apfel teuer.
b) … könnte er Sie krank machen.
c) … hatten Sie sich so auf ihn gefreut.
d) … sehen Sie es positiv und werden immer Ihren Gewinn daraus ziehen.

3. Und Ihre Überlegungen lassen sich leicht untermauern,
denn
a) wenn er schon so teuer ist, hätte er nicht faul sein dürfen.
b) Sie haben schon früher auf Nahrungsmittel empfindlich reagiert.
c) Sie hatten ihn sich als gesunden Genuss für zwischendurch eingesteckt.
d) Sie hätten darauf wetten können, dass er faul ist.

4. Und obendrein ist dies alles ja heutzutage kein Einzelfall,
weil..
a) … man ja heutzutage ständig übers Ohr gehauen wird.
b) … Nahrungsmittel heutzutage immer mehr zur Gefahrenquelle werden.
c) … es heutzutage kaum noch etwas gibt, was Genuss ohne Reue verspricht.
d) … man heutzutage mit faulen Wetten viel verdienen kann.

5. Also ziehen Sie die einzig nahe liegende Konsequenz:
a) Sie werden in Zukunft niemandem mehr trauen, auch dem Bioladen nicht.
b) Sie nehmen demnächst Ihre Wünschelrute zum Einkaufen mit.
c) Sie werden sich noch konsequenter von jeglichem Genuss unabhängig machen.
d) Sie werden Börsenmakler!

Schon die Bibel hat ja eindrücklich darauf hingewiesen, dass aus einem Biss in den Apfel mehr werden kann. Aber diese Geschichte von der Erbsünde ist so negativ, finden Sie nicht?
Denken Sie positiv, und aus Ihnen wird noch was! Zum Beispiel Finanzmakler!

Herzlich grüßt Sie

Saleem Matthias Riek

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Die Dunstglocke des Schweigens

Sexueller Missbrauch, in Internaten und insbesondere in der katholischen Kirche, ist derzeit allerorten in den Schlagzeilen. So wichtig es ist, dass diese Vorgänge ans Licht kommen, so fehlt mir in den Kommentaren besonders eines: was ist denn ein für ein Kind wirklich unterstützender Umgang mit der Sexualität? Aus lauter Verunsicherung, bloß nicht missbräuchlich zu handeln, wird manches zum Tabu und eine neue Dunstglocke des Schweigens breitet sich aus. Wenn das so weiter geht, dann werden bald Kinder wieder in Unterwäsche unter die Dusche geschickt, so wie es allen Ernstes in einem katholischen Kinderheim in Düsseldorf noch Ende der 70er Jahre vorkam, als ich dort Zivildienst ableistete.

Den Missbrauch zu thematisieren ist nur ein erster Schritt. Bleibt es dabei, wird die Dunstglocke des Schweigens wieder genau die Brutstätte erschaffen, die den Missbrauch begünstigt. Die eigenen Unsicherheiten im Umgang mit Sexualität zu thematisieren und besonders die naheliegenden Unsicherheiten darüber, was ein förderliches, respektvolles Umfeld für die gesundes Sexualentwicklung eines Jungen oder eines Mädchen ausmacht und was nicht, das braucht vielleicht noch mehr Mut als jetzt endlich den Tätern die Schutz des Schweigens zu entziehen. Ich jedenfalls habe als Kind am meisten darunter gelitten, dass über Sex höchstens in Andeutungen kommuniziert wurde.

Was meinen Sie?

Herzlich

Saleem Matthias Riek

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Ich konsumiere, also bin ich!

Es klingt wie eine Satire. Aber kann uns heute noch etwas überraschen? Pünktlich vor Ostern fand ich diese Meldung:

„Die kürzlich gegründete freikirchliche Gesellschaft zur Förderung des freien Konsumtentums hat in ihrer ersten – kostenpflichtigen – Pressekonferenz eine zeitgemäße Fassung der unglücklicher Weise mehr und mehr in Vergessenheit geratenden zehn Gebote vorgelegt. Eine Neufassung sei zur Überwindung der weltumspannenden Wirtschaftskrise und der daraus resultierenden wertebezogenen Orientierungslosigkeit dringend geboten, so Pressesprecher Wolf Rack. Für Änderungswünsche aller Art sei die Gesellschaft jederzeit offen, denn Wirtschaftswachstum sei von keiner Ideologie abhängig, sondern wertneutral. Hier die vorgeschlagene Fassung:

1. Ich bin Kon Sum, dein Gott.
1. a) Du sollst keine fremden Götter neben mir haben, vor allem keine, an die zu glauben allzu billig ist.
1. b) Du sollst dir kein Bildnis machen, sondern eines im regulären Einzelhandel erwerben.
2. Du sollst die Namen Gottes nicht missbrauchen. Respektiere das registrierte Warenzeichen Kon Sum®.
3. Gedenke, dass du den Sonntag heiligst. Mit etwas Aufwand findest du verkaufsoffene Sonntage auch in deiner Region.
4. Du sollst Vater und Mutter ehren. Durch sie habe ich das Wirtschaftswunder vollbracht.
5. Du sollst nicht morden, vor allem keine solventen Konsumenten.
6. Du sollst nicht ehebrechen, es sei denn um Konsumentennachwuchs zu zeugen.
7. Du sollst nicht stehlen, sondern bereit sein, für alles und jedes zu bezahlen.
8. Du sollst über deine Kaufgewohnheiten kein falsches Zeugnis geben.
9. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, sondern dir deine eigene Shopperin leisten.
10. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Sorge dafür, dass er stets deines begehrt und mithin zukunftsweisend investiert.

Die Gesellschaft geht aufgrund überzeugender wissenschaftlicher Beweise davon aus, dass heute nur noch das wert geschätzt wird, was auch etwas kostet. Deswegen ist das Lesen dieser zehn Gebote sowohl gemeinnützig als auch gebührenpflichtig. Eine Software zur Errechnung Ihrer individuellen Gebührenhöhe finden Sie hier.
Der Erlös kommt der Gesellschaft zur Förderung der Konsumtempel ( eine 100%ige Tochter der freikirchlichen Gesellschaft zur Förderung des freien Konsumtentums) zugute.
Die Gesellschaft bietet in Kürze auch meditativ-kreative Kurse zur Selbstfindung an: „Zeig mir Dein Konsumverhalten und ich sag Dir, wer Du bist.“

Da bleibt einem doch echt die Spucke weg. Ich brauche jetzt sofort was zu trinken Oder fällt Ihnen noch etwas dazu ein?

Herzlich

Saleem Matthias Riek

PS: gegen eine geringe Gebühr teile ich Ihnen selbstverständlich die Quelle diese Meldung mit…
… wenn Sie denken „Ich bin doch nicht blöd®“ schauen Sie mal hier hinein.

Konsum - Logo!

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Fuchs, du hast die Gans gestohlen

Wenn ich die aktuellen Meldungen um den Ankauf gestohlener Daten von Steuerhinterziehern verfolge, schwanke zwischen Belustigung, Empörung, Faszination, Abscheu und Neugier. Ich beginne mal mit letzterer. Was geht hier eigentlich vor?
Zuerst sieht es so aus, als handele es sich nur um eine weitere Posse politischer Eitelkeiten. Aber es steckt mehr dahinter. Auch hier geht es ums Ganze! Und das offenbart sich wieder einmal in unlösbar scheinenden Widersprüchen. Die Daten nicht zu kaufen wäre eine Schande. Sie zu kaufen scheint aber irgendwie auch eine zu sein.
Warum aber fangen Politiker aller Parteien und beteiligter Länder an, wild herum zu gackern wie Hühner in einem Hühnerstall, in das der Fuchs eingebrochen ist? Das Niveau von Daily Soaps erscheint im Vergleich wie großes Kino.

Hochkonjunktur hat dabei ein Begriff: Raubrittertum. Die FDP nannte Steuererhöhungen für Reiche „Raubrittertum und Wegelagerei“. Die SPD geißelte das Gebaren von Liechtenstein als „moderne Form des Raubrittertums“. Und nun schreibt die rechtsnationale Schweizer Volkspartei SVP dieses Attribut uns Deutschen zu: „Der deutsche Staat lebt sein Raubrittertum ungeniert aus…“. Im Hühnerhaufen pickt also derzeit fast jeder gegen jeden. Aber wer ist der Fuchs?

Bei aller Sympathie dafür, ein paar superreiche Steuerflüchtige dranzukriegen, der Kauf geklauter Daten ist natürlich nicht die feine Art. Was aber manche Schweizer derzeit vom Stapel lassen („Kriegserklärung!“) lässt jeden auch nur laienhaft psychologisch geschulten fragen: „Wer da so laut schreit ‚Haltet den Dieb!‘, was hat denn der da in der Tasche?“ Die Schweizer Taschen sind randvoll. Mit Geldern derer, die sich der „steuerlichen Raubritterei“ ihres Heimatlandes nur durch beherzte Flucht mit dem Geldkoffer über die Grenze entziehen konnten, wo sie noch Verständnis bekommen dafür, dass Reiche unbehelligt immer reicher werden wollen. Und sich nicht gerne mit lästigen Fragen plagen wie der, welche Folgen das für andere Menschen haben könnte. Haben wird.

Aber es kommt noch besser:

  • Ein Deutscher Kunde hat erfolgreich Schadensersatz von seiner Liechtensteiner Bank erstritten, weil die ihn nicht davor gewarnt hat, dass der illegale Deal auffliegt. Das macht zumindest klar, dass mancherorts Kriminalität nicht nur gedeckt wird, sondern deren Enttarnung sogar noch entschädigt. Eine staatliche Versicherung für Kriminielle sozusagen.
  • Ein deutscher Multimillionär klagt gegen seine Schweizer Großbank, weil diese ihm einen Schein-Wohnsitz in der Schweiz aufgedrängt habe. „Relocation Planning“ nennen die das elegant. Er sei ahnungslos auf den Trick hereingefallen und müsse jetzt dick nachzahlen. Er sollte noch Schmerzensgeld für die Verletzung seines Grundvertrauens fordern. Denn das anständige Schweizer einem Illegales empfehlen, wer kommt denn darauf?
    Darauf kommt nur wer weiß, dass die Schweiz, die ja derzeit voller Inbrunst auf der Respektierung ihrer nationalen Gesetze im Ausland besteht, Ambitionen auf den Weltmeistertitel in Doppelmoral hegt. Der Titel wird aber genau wie ein Nummernkonto ganz diskret vergeben, er steht in keiner Zeitung!
  • Aber wir wollen gerecht sein. Es ist unfair alle Schweizer über einen Kamm zu scheren. Ein Berner Gericht befand es kürzlich für rechtens, einen Schweizer Bürger mithilfe geklauter Daten der Steuerhinterziehung zu überführen. Droht der Schweiz ein Bürgerkrieg?

Wäre hier und jetzt nicht die Frage angebracht, was eigentlich meine eigene Häme hier so beflügelt? Was sagt der Hobbypsychologe? Genau! Der hat da auch selbst was laufen mit dem Thema Steuern! Stimmt!
Hier also meine rechtzeitige Selbstanzeige:

  • Ich habe selbst Steuern hinterzogen und mich einer Bestrafung seinerzeit durch rechtzeitige Selbstanzeige einen Tag vor der Außenprüfung entzogen. Ja, es war im letzten Jahrtausend (ziemlich am Ende desselben), aber immerhin. Und es ging um Summen, für die würde kein Finanzminister mit der Wimper zucken. Aber ich habe damals einige Nerven verloren und graue Haare dazu gewonnen. Beides hat mich reifen lassen.
    Und ganz im Ernst: es war eine ziemliche unreife Wut gegen den Staat, die mir meine „steuerliche Selbstjustiz“ als durchaus angemessen erschienen ließ. Die Lektüre von „1000 ganz legale Steuertricks“ hatte mich mit Ideen versorgt. Im diesem Buch wurden die Tipps jenseits der Legalität natürlich so verklausoliert angepriesen, dass Autor Konz sich auf der sicheren Seite fühlen kann. Nein, ich habe ihn nicht verklagt. Auch nicht wegen der grauen Haare.
  • Vor einigen Jahren hatte ich eine weitere Steuerprüfung. Dabei lernte ich dann, dass Außenprüfer des Finanzamtes etwas „finden“ müssen (und danach bezahlt werden), und dass clevere Steuerberater empfehlen, bewusst einige „Fehler“ einzubauen, um Schlimmeres zu verhüten. Das hätte ich vorher wissen sollen. Mit meiner neugewonnenen Korrektheit dachte ich auf der sicheren Seite zu stehen. Weit gefehlt. Jetzt streite ich mich vor dem Finanzgericht um viel Geld, nämlich um die Umsatzsteuerbefreiung, die mir als Heilpraktiker im Prinzip zusteht. Aber über Details lässt sich eben immer streiten…
  • Mein Vertrauen in die deutsche Gerichtsbarkeit nimmt leider nicht gerade zu, wenn mir meine Anwältin in schöner Regelmäßigkeit empfiehlt, nicht allzu sehr auf einen baldigen Verhandlungstermin zu dringen, um den Richter nicht zu verstimmen, der bestimmt viel viel Arbeit hat. Ach ja, das Verfahren läuft seit Ende 2006, ohne dass auch nur ein einziger Gerichtstermin stattgefunden hätte…

Also ich habe da auch so meine eigenen Erfahrungen. Die sehe ich aber inzwischen eher sportlich. Dabei sein ist alles. Mit dieser Haltung wird doch alles zu einer Erfahrung, die uns weiterbringt, oder?

Und damit weg von mir, denn ich bin ja echt nur ein kleines unbedeutendes Hühnchen im Stall. Aber Gackern, das kann ich natürlich auch.

Zurück zur tieferen Bedeutung der ganzen Steuer-Posse. Aber bevor ich’s vergesse. Eine Possensteuer auf politische Statements, das fände ich einen echt diskussionswürdigen Beitrag zur Lösung der Finanzkrise…

Gestern sah ich den Actionfilm „Robin Hood – König der Diebe“. Darin zeigt sich unabweisbar und für jeden Popkornfan nachvollziehbar – die tiefe Würde, die dem Stehlen von Eigentum eigen sein kann. Er nahm es den Reichen und gab es den Armen. Aber damit nicht genug. Er besiegte den skrupellosen Thronschleicher und rettete dem König sein Land. Ein solcher Raubritter, der es mit den gemeinsten Schurken aufnimmt, Diebe zu wahrem Stolz führt und nebenbei das Herz der schönsten Frau erobert: wer könnte so ein Raubritter heute noch sein? Der Informant, der die Daten gestohlen hat und zum Kauf anbietet? Darf es noch eine Nummer größer sein?

Er müsste es mit dem Fuchs aufnehmen. Aber wer ist der Fuchs? Ein schlauer Fuchs wäre derjenige, der heute die Eigentumfrage neu stellt. Wenn nicht mehr klar ist, wer wem was stehlen und wer es wem verhökern darf, drängt sich hier nicht die Frage auf, wem überhaupt was gehören darf? Mit dieser Frage, ja da wäre was los im Hühnerstall! Da kämen sogar die Hähne ins Schwitzen.
Dürfen ein Mensch mehr Geld besitzen als eine Million anderer Menschen zusammen? Dürfen Menschen soviel Geld besitzen, dass sie ganze Regierungen damit kaufen können? Dürfen Menschen soviel Geld besitzen, dass sie Investieren mit Zocken verwechseln? Dürfen einzelne Menschen soviel Geld besitzen, dass von ihren individuellen Entscheidungen Wohl und Wehe des ganzen Planeten abhängen?

Ich weiß, diese Frage ist ein Tabu. Unser goldenes Kalb. Ich glaube, die ganze Steuerdebatte stünde in einem anderen Licht, wenn wir uns jetzt diese eine Frage leisten würden: Wo liegen die Grenzen des Eigentums?
Sie sind, so glaube ich, ähnlich den Grenzen des Ich. Auch das Ego ist eine Art Eigentümlichkeit.
Beide, Eigentum und Ego, sind letztlich eine zwar nützliche Erfindung, aber doch auch eine Illusion. Aber das ist ein weiteres weites Feld. Genug für heute.

Oder was meinen Sie, liebe Leserin, lieber Leser?

Herzlich grüßt Sie

Saleem Matthias Riek

PS: Hier noch die dritte Strophe des eingangs erwähnten Kinderliedes Fuchs, du hast die Gans gestohlen:
„Liebes Füchslein, lass dir raten, sei doch nur kein Dieb, sei doch nur kein Dieb!
Nimm, du brauchst nicht Gänsebraten, mit der Maus vorlieb, nimm, du brauchst nicht Gänsebraten, mit der Maus vorlieb!“

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Sex in der Kirche

„Sex während der Andacht“ titelt heute die Badische Zeitung einen Bericht „aus aller Welt“, in diesem Fall aus Rennertshofen (Landkreis Neuburg-Schrobenhausen / Bayern). Und ich dachte schon, dass tantrische Rituale jetzt in deutschen Kirchen Einzug halten.

Aber weit gefehlt. Ein Pärchen hatte sich lautstark während einer Morgenandacht mit 25 Besuchern auf der Empore der barocken Pfarrkirche vergnügt.
Bei einer Verurteilung, so heißt es weiter, drohen dem erwischten und sofort aus seinem Dienst suspendierten jungen Polizisten im schlimmsten Fall bis zu drei Jahre Haft.

Ob fahrlässige Tötung wohl weniger kompromittierend für den armen Teufel gewesen wäre?

Komischerweise bemerkte niemand das unmittelbar nach der Vorfall einsetzende schallende Gelächter. Es kam wie aus heiterem Himmel. Ich konnte es noch Tage später bis hier nach Freiburg hören. Hören Sie es auch?
Gott und Göttin dort oben haben Humor. Der muss in unseren Kirchen wohl noch warten, bis seine Zeit gekommen ist. Ich danke jedenfalls dem jungen Paar für die mutige Vorarbeit.

Herzliche Grüße

und ein lust- und liebevolles neues Jahr wünsche ich Ihnen

Saleem Matthias Riek

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Krieg und Frieden

Vor einigen Tagen nahm Barack Obama den Friedensnobelpeis entgegen. Gestern hörte ich in seine Rede in Oslo. Unter dem Hauptfokus diese Blogs „Wie gehen wir mit Widersprüchen um“ war ich höchst gespannt, wie er als Kriegspräsident den Friedenspreis entgegen nehmen würde.

Die Süddeutsche Zeitung fand seine Rede ärgerlich, weil er dazu stand, dass seiner Meinung nach Krieg manchmal notwendig sei – allerdings durchaus nicht hinreichend! – um dauerhaften Frieden zu schaffen. Ich finde Obama’s Position höchst angreifbar und bin durchaus nicht in allen Punkten seiner Meinung. Dennoch war diese Rede für mich ein höchst gelungenes Beispiel für das, worin Obama allen anderen mir bekannten Politikern um Längen voraus ist: er kann in Widersprüchen denken und diese und seine Haltung dazu verständlich kommunizieren.

Es war eben keine Rede, wie sie vielleicht seine Anhänger aus der Friedensbewegung sicher gerne hätten hören wollen. Es war keine Rede eines Gutmenschen, der so tut als müsse er sich als amerikanischer Präsident nicht die Finger schmutzig machen. Es war auch keine Rede, wie sie unsere deutschen Politiker bis zum Erbrechen gerne halten, wenn sie Eiertänze darum herum veranstalten, wie sie etwas sagen können, ohne wirklich etwas zu sagen, und sich dann später gegenseitig der Lüge bezichtigen, wie aktuell im Zusammenhang mit dem Tanklasterbombardement bei Kundus.

Kürzlich las ich das neue Buch von Rüdiger Dahlke „Die Schicksalsgesetze“, worin er als wohltuende Antwort auf den esoterischen „The Secret“-Boom betont, dass wir nur dann mit unseren Wünschen und Anliegen echte und dauerhafte Resonanz aufbauen können , wenn wir zuvor auch den Gegenpol in uns und in der Welt anerkennen. Obama tut das, und ich finde das wegweisend, gerade auch weil er damit nicht den Eindruck erweckt, wir könnten alle die Hände in den Schoß legen und ihn machen lassen. Nein, es ist unser aller Verantwortung, unsere Antwort darauf zu finden, dass es Krieg gibt in der Welt und wir es uns anders wünschen.

Was ist Ihre Antwort?

Ich wünsche uns allen eine friedensstiftende Weihnachtszeit.

Herzlich

Saleem Matthias Riek

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Was heißt hier bewusst?

Gedanken zum Bewusstseins-Symposium

Am vergangenen Samstag besuchte ich im Rahmen der „Baseler Bewusstseinstage“ ein Symposium zum Thema Bewusstsein. Acht Referenten (Sieben Männer und eine Frau) trugen ihre Sicht auf das Phänomen Bewusstsein vor. Hier eine kleine Auswahl einiger Kernthesen (die Reihenfolge ist beliebig):

  • Jeder ist der Mittelpunkt seines Lebens. Probleme bekommen wir dann, wenn wir glauben, dass wir auch für andere Mittelpunkt sein oder andere für uns Mittelpunkt sein können.
  • Das individuelle Ich ist eine Illusion. Die einzige Wirklichkeit ist das Zeugengewahrsein. Es gibt nichts zu tun. Befreiung liegt darin, das leben so anzunehmen wie es ist.
  • Wir leben in einer Welt der Polarität. Gott hat allen Wesen die Freiheit gegeben, sich ihm und damit der Einheit aller Schöpfung zu oder abzuwenden.
  • Wir existieren einzig und allein der Liebe willen.
  • Alles ist bereits vorhanden. Wir können unser Leben vollständig nach unseren eigenen Wünschen erschaffen, indem wir uns konsequent in innere Resonanz mit dem begeben, was wir uns äußerlich wünschen. Dann finden wir immer einen freien Parkplatz, und das ist nur der Anfang.
  • Versprechungen und Umschmeichelung des Ego ist ein Zeichen der Abwendung von Gott.
  • Mit harmonischen Klängen beseitigen wir emotionale Blockaden und öffnen uns für neues Bewusstsein.
  • Versuche, das Ego zu überwinden und die Hoffnung, das Leben kontrollieren zu können, dienen der Vermeidung kindlichen Schmerzes, den wir noch in uns tragen. Indem wir diesen bewusst wieder erleben können wir uns von ihm befreien.
  • Alles ist Information. Auch Materie ist quantenphysikalisch gesehen Information. Das Leben ist dazu da, ständig neue Informationen hervorzubringen. Um das Leben zu meistern sind wir gut beraten, möglichst viel über die Zusammenhänge des Lebens zu wissen.
  • Lass alle deine Gedanken und Gefühle zu und lass sie wieder los. Lass Liebe beständig durch dich fließen wie der Rhein durch Basel fließt.

Wir Zuhörer nehmen all das meist ohne Fragen auf und applaudieren nach jedem Vortrag höflich. Was war jetzt noch gleich Bewusstsein? Wir haben acht Experten gehört, von denen jeder seine ganz spezielle Perspektive auf das Phänomen Bewusstsein hat. Und nicht nur das, alle tragen ihre Erkenntnisse so vor als seien sie das Ei des Kolumbus. Diese acht Expertisen stehen nun alle im Raum. Sie sind nicht nur sehr unterschiedlich, nein sie schließen sich oft gegenseitig aus oder führen zu komplett gegensätzlichen Konsequenzen, was unser Verhalten im Alltag angeht.

Was jeder einzelne von uns damit anfängt, bleibt ungesagt. Sucht sich jeder das aus, was er oder sie hören oder glauben will, sowieso schon weiß oder schon lange geahnt hat?

Hier ist meine These zum Thema Bewusstsein: es ist widersprüchlich. Niemand hat bis heute diese Widersprüchlichkeit überwunden, ohne selbst neue Widersprüche zu erzeugen. Manche glauben oder behaupten allerdings, dass sie sich mit ihrem Bewusstsein jenseits der Widersprüchlichkeit des Lebens befinden. Werden wir selig, wenn wir daran glauben?
Und was lernen wir daraus? Oder gibt es hier gar nicht zu lernen?

Diese Entscheidung lasse ich gerne Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser. Ich freue mich jedoch, wenn Sie mich an Ihrer Wahrheit, sei es Zustimmung oder Widerspruch, teilhaben lassen….

Herzlich

Saleem Matthias Riek

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