Wenn ich die aktuellen Meldungen um den Ankauf gestohlener Daten von Steuerhinterziehern verfolge, schwanke zwischen Belustigung, Empörung, Faszination, Abscheu und Neugier. Ich beginne mal mit letzterer. Was geht hier eigentlich vor?
Zuerst sieht es so aus, als handele es sich nur um eine weitere Posse politischer Eitelkeiten. Aber es steckt mehr dahinter. Auch hier geht es ums Ganze! Und das offenbart sich wieder einmal in unlösbar scheinenden Widersprüchen. Die Daten nicht zu kaufen wäre eine Schande. Sie zu kaufen scheint aber irgendwie auch eine zu sein.
Warum aber fangen Politiker aller Parteien und beteiligter Länder an, wild herum zu gackern wie Hühner in einem Hühnerstall, in das der Fuchs eingebrochen ist? Das Niveau von Daily Soaps erscheint im Vergleich wie großes Kino.
Hochkonjunktur hat dabei ein Begriff: Raubrittertum. Die FDP nannte Steuererhöhungen für Reiche „Raubrittertum und Wegelagerei“. Die SPD geißelte das Gebaren von Liechtenstein als „moderne Form des Raubrittertums“. Und nun schreibt die rechtsnationale Schweizer Volkspartei SVP dieses Attribut uns Deutschen zu: „Der deutsche Staat lebt sein Raubrittertum ungeniert aus…“. Im Hühnerhaufen pickt also derzeit fast jeder gegen jeden. Aber wer ist der Fuchs?
Bei aller Sympathie dafür, ein paar superreiche Steuerflüchtige dranzukriegen, der Kauf geklauter Daten ist natürlich nicht die feine Art. Was aber manche Schweizer derzeit vom Stapel lassen („Kriegserklärung!“) lässt jeden auch nur laienhaft psychologisch geschulten fragen: „Wer da so laut schreit ‚Haltet den Dieb!‘, was hat denn der da in der Tasche?“ Die Schweizer Taschen sind randvoll. Mit Geldern derer, die sich der „steuerlichen Raubritterei“ ihres Heimatlandes nur durch beherzte Flucht mit dem Geldkoffer über die Grenze entziehen konnten, wo sie noch Verständnis bekommen dafür, dass Reiche unbehelligt immer reicher werden wollen. Und sich nicht gerne mit lästigen Fragen plagen wie der, welche Folgen das für andere Menschen haben könnte. Haben wird.
Aber es kommt noch besser:
- Ein Deutscher Kunde hat erfolgreich Schadensersatz von seiner Liechtensteiner Bank erstritten, weil die ihn nicht davor gewarnt hat, dass der illegale Deal auffliegt. Das macht zumindest klar, dass mancherorts Kriminalität nicht nur gedeckt wird, sondern deren Enttarnung sogar noch entschädigt. Eine staatliche Versicherung für Kriminielle sozusagen.
- Ein deutscher Multimillionär klagt gegen seine Schweizer Großbank, weil diese ihm einen Schein-Wohnsitz in der Schweiz aufgedrängt habe. „Relocation Planning“ nennen die das elegant. Er sei ahnungslos auf den Trick hereingefallen und müsse jetzt dick nachzahlen. Er sollte noch Schmerzensgeld für die Verletzung seines Grundvertrauens fordern. Denn das anständige Schweizer einem Illegales empfehlen, wer kommt denn darauf?
Darauf kommt nur wer weiß, dass die Schweiz, die ja derzeit voller Inbrunst auf der Respektierung ihrer nationalen Gesetze im Ausland besteht, Ambitionen auf den Weltmeistertitel in Doppelmoral hegt. Der Titel wird aber genau wie ein Nummernkonto ganz diskret vergeben, er steht in keiner Zeitung! - Aber wir wollen gerecht sein. Es ist unfair alle Schweizer über einen Kamm zu scheren. Ein Berner Gericht befand es kürzlich für rechtens, einen Schweizer Bürger mithilfe geklauter Daten der Steuerhinterziehung zu überführen. Droht der Schweiz ein Bürgerkrieg?
Wäre hier und jetzt nicht die Frage angebracht, was eigentlich meine eigene Häme hier so beflügelt? Was sagt der Hobbypsychologe? Genau! Der hat da auch selbst was laufen mit dem Thema Steuern! Stimmt!
Hier also meine rechtzeitige Selbstanzeige:
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Ich habe selbst Steuern hinterzogen und mich einer Bestrafung seinerzeit durch rechtzeitige Selbstanzeige einen Tag vor der Außenprüfung entzogen. Ja, es war im letzten Jahrtausend (ziemlich am Ende desselben), aber immerhin. Und es ging um Summen, für die würde kein Finanzminister mit der Wimper zucken. Aber ich habe damals einige Nerven verloren und graue Haare dazu gewonnen. Beides hat mich reifen lassen.
Und ganz im Ernst: es war eine ziemliche unreife Wut gegen den Staat, die mir meine „steuerliche Selbstjustiz“ als durchaus angemessen erschienen ließ. Die Lektüre von „1000 ganz legale Steuertricks“ hatte mich mit Ideen versorgt. Im diesem Buch wurden die Tipps jenseits der Legalität natürlich so verklausoliert angepriesen, dass Autor Konz sich auf der sicheren Seite fühlen kann. Nein, ich habe ihn nicht verklagt. Auch nicht wegen der grauen Haare. - Vor einigen Jahren hatte ich eine weitere Steuerprüfung. Dabei lernte ich dann, dass Außenprüfer des Finanzamtes etwas „finden“ müssen (und danach bezahlt werden), und dass clevere Steuerberater empfehlen, bewusst einige „Fehler“ einzubauen, um Schlimmeres zu verhüten. Das hätte ich vorher wissen sollen. Mit meiner neugewonnenen Korrektheit dachte ich auf der sicheren Seite zu stehen. Weit gefehlt. Jetzt streite ich mich vor dem Finanzgericht um viel Geld, nämlich um die Umsatzsteuerbefreiung, die mir als Heilpraktiker im Prinzip zusteht. Aber über Details lässt sich eben immer streiten…
- Mein Vertrauen in die deutsche Gerichtsbarkeit nimmt leider nicht gerade zu, wenn mir meine Anwältin in schöner Regelmäßigkeit empfiehlt, nicht allzu sehr auf einen baldigen Verhandlungstermin zu dringen, um den Richter nicht zu verstimmen, der bestimmt viel viel Arbeit hat. Ach ja, das Verfahren läuft seit Ende 2006, ohne dass auch nur ein einziger Gerichtstermin stattgefunden hätte…
Also ich habe da auch so meine eigenen Erfahrungen. Die sehe ich aber inzwischen eher sportlich. Dabei sein ist alles. Mit dieser Haltung wird doch alles zu einer Erfahrung, die uns weiterbringt, oder?
Und damit weg von mir, denn ich bin ja echt nur ein kleines unbedeutendes Hühnchen im Stall. Aber Gackern, das kann ich natürlich auch.
Zurück zur tieferen Bedeutung der ganzen Steuer-Posse. Aber bevor ich’s vergesse. Eine Possensteuer auf politische Statements, das fände ich einen echt diskussionswürdigen Beitrag zur Lösung der Finanzkrise…
Gestern sah ich den Actionfilm „Robin Hood – König der Diebe“. Darin zeigt sich unabweisbar und für jeden Popkornfan nachvollziehbar – die tiefe Würde, die dem Stehlen von Eigentum eigen sein kann. Er nahm es den Reichen und gab es den Armen. Aber damit nicht genug. Er besiegte den skrupellosen Thronschleicher und rettete dem König sein Land. Ein solcher Raubritter, der es mit den gemeinsten Schurken aufnimmt, Diebe zu wahrem Stolz führt und nebenbei das Herz der schönsten Frau erobert: wer könnte so ein Raubritter heute noch sein? Der Informant, der die Daten gestohlen hat und zum Kauf anbietet? Darf es noch eine Nummer größer sein?
Er müsste es mit dem Fuchs aufnehmen. Aber wer ist der Fuchs? Ein schlauer Fuchs wäre derjenige, der heute die Eigentumfrage neu stellt. Wenn nicht mehr klar ist, wer wem was stehlen und wer es wem verhökern darf, drängt sich hier nicht die Frage auf, wem überhaupt was gehören darf? Mit dieser Frage, ja da wäre was los im Hühnerstall! Da kämen sogar die Hähne ins Schwitzen.
Dürfen ein Mensch mehr Geld besitzen als eine Million anderer Menschen zusammen? Dürfen Menschen soviel Geld besitzen, dass sie ganze Regierungen damit kaufen können? Dürfen Menschen soviel Geld besitzen, dass sie Investieren mit Zocken verwechseln? Dürfen einzelne Menschen soviel Geld besitzen, dass von ihren individuellen Entscheidungen Wohl und Wehe des ganzen Planeten abhängen?
Ich weiß, diese Frage ist ein Tabu. Unser goldenes Kalb. Ich glaube, die ganze Steuerdebatte stünde in einem anderen Licht, wenn wir uns jetzt diese eine Frage leisten würden: Wo liegen die Grenzen des Eigentums?
Sie sind, so glaube ich, ähnlich den Grenzen des Ich. Auch das Ego ist eine Art Eigentümlichkeit.
Beide, Eigentum und Ego, sind letztlich eine zwar nützliche Erfindung, aber doch auch eine Illusion. Aber das ist ein weiteres weites Feld. Genug für heute.
Oder was meinen Sie, liebe Leserin, lieber Leser?
Herzlich grüßt Sie
Saleem Matthias Riek
PS: Hier noch die dritte Strophe des eingangs erwähnten Kinderliedes Fuchs, du hast die Gans gestohlen:
„Liebes Füchslein, lass dir raten, sei doch nur kein Dieb, sei doch nur kein Dieb!
Nimm, du brauchst nicht Gänsebraten, mit der Maus vorlieb, nimm, du brauchst nicht Gänsebraten, mit der Maus vorlieb!“
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