Vom Abenteuer, einen Roman zu veröffentlichen

Kürzlich ist mein zweiter Roman Liebe, Sex und Wahrheit erschienen, endlich. Er hätte viel früher rauskommen sollen, immerhin knüpft er an meinen ersten Roman an. Nicht zuletzt Ärger mit dem Verlag (Kampenwand), der mir mit unwiderstehlichen Versprechungen Die gefährliche Unausweichlichkeit der Liebe abgekauft hatte und mich dann komplett hängen ließ, sorgte für Verzögerung. Auch die sehr unterschiedliche Resonanz hat mich verunsichert und gebremst. Es gab kaum eine Aussage, von der ich nicht auch ihr genaues Gegenteil zu hören bekam. Das kenne ich aus meiner Tätigkeit als Seminarleiter nicht. Ich hatte also einiges zu verarbeiten, wovon ich manches hier transparent machen möchte.

Meine Verletzlichkeit als Autor

Ich habe es geahnt und doch hat mich überrascht, wie verletzlich ich mich mit dem Roman gefühlt habe, weit mehr als bei meinen Sachbüchern. In jeder meiner Protagonisten steckt – und das kann nicht anders sein – ein Teil von mir und so fiel es mir schwer zu akzeptieren, dass nicht jede(r) meine Figuren in sein Herz geschlossen hat. Das habe ich allerdings auch nicht leichter gemacht, indem ich auch deren „neurotische“ Charakterzüge offensichtlich werden ließ.

In meinen Seminaren erlebe ich immer wieder, wie in kurzer Zeit eine Atmosphäre entsteht, in der sich Menschen öffnen. Sie zeigen sich mit ihren Wünschen, Ängsten und Nöten, aber auch mit ihrer Lust und Liebe und muten sich einander zu. Die Herzen öffnen sich, und zwar auch für „schräge Vögel“ – oder anders gesagt: für die neurotischen Seiten in uns, die wir – mehr oder weniger offensichtlich – alle besitzen, in deren Menschlichkeit wir uns sonst vielleicht weniger einfühlen.

Nach Herzenslust urteilen

Beim Lesen eines Romans kann eine solche Öffnung natürlich auch geschehen, aber es liegt in der Verantwortlichkeit derer, die das Buch lesen. Sobald das Buch in den Druck geht, habe ich als Autor keinen Einfluss mehr darauf. Und so passiert, was in unserer Kultur verbreitet ist: Wir loben, was uns gefällt, und werten ab, was uns nicht gefällt. Wir können unsere Selbstzweifel beiseite lassen und nach Herzenslust urteilen und verurteilen. Und wenn uns etwas allzu unangenehm berührt, müssen wir ja nicht weiterlesen. Einer, den der Text wohl arg genervt hat, schrieb auf Amazon: „Autor:innen sollten zumindest die Grundlagen der Sprache beherrschen.“ Okay, mit dieser Kritik muss ich mich nicht allzu lange beschäftigen. Weit mehr traf mich die Rückmeldung einer ehemaligen Kursteilnehmerin: „Schuster, bleib bei deinen Leisten!“ Sie hat das wohl gut gemeint, aber es hat eine Weile gedauert, bis ich mir selbst zugestehen konnte, dass ich nach vielen Jahren erfolgreicher Tätigkeit als Seminarleiter etwas ausprobieren darf, was ich (noch?) nicht so gut kann.

Zwischen Jubel und Verriss

Wie auch immer, über Bücher lässt sich prächtig urteilen und streiten. Wer schon einmal „Das literarische Quartett“ gesehen hat, kennt vielleicht die Faszination, die von Expert:innen ausgeht, die komplett gegenteiliger Auffassung sind. Ich tröste mich damit, dass gegensätzliche Resonanz nicht nur unbedeutenden Autorinnen wie mir vorbehalten ist. Kaum jemandem von Rang und Namen blieb es erspart, von der einen Seite hochgejubelt und der anderen verrissen zu werden. Im literarischen Quartett ist das die quotenträchtige Regel und die Inbrunst, mit der unvereinbare Positionen jeweils vortragen werden, macht es zu einem Spektakel.

Als Autor ist man gut beraten, so etwas nicht zu sehr an sich heranzulassen. Oder vielleicht doch? Will ich mich tatsächlich desensibilisieren? Genau das Gegenteil dessen tun, was mir in meiner Arbeit als Seminarleiter am Herzen liegt? Diesbezüglich ist mein innerer Prozess noch nicht zu Ende.

Literatur als Trigger

Mit etwas Abstand betrachtet finde ich das Echo auf meinen Roman nicht mehr so verwunderlich. Selbstverständlich haben wir alle unsere Vorlieben und auch wenn es mir persönlich nicht gefällt: Niemand muss meine Protagonisten, den Plot oder Erzählstil mögen. Doch Aversionen sind manchmal auch Ausdruck von Reflexen, deren Ursprung im Unbewussten liegt. Bei näherer Betrachtung können sie einen interessanten (Selbst-) Erkenntnisprozess in Gang bringen. Hier ein paar Beispiele:

  • Wieso ließ ich Karoline sich in jemanden wie Alex verlieben, obwohl er doch offensichtlich überhaupt nicht zu ihr passt, fragte mich eine Leserin. Im weiteren Gespräch kam sie darauf, dass sie diese Konstellation nur allzu gut kennt. Sie war gerade dabei, sich von einem Mann zu trennen, der Alex ziemlich ähnelte.
  • Eine andere Leserin fand nervig, dass die beiden beim Sex so viel sprechen. Das sei abtörnend. Dann fiel ihr ein, wie schwer es ihr und ihrem Partner fällt, Wünsche und Grenzen beim Sex zu kommunizieren. Oft gebe es Missverständnisse und der Sex würde immer seltener. Wäre es vielleicht doch hilfreich, beim Sex nicht zu verstummen?
  • Ein Leser fand es ärgerlich, dass die beiden so viel „grübeln“. Er wolle deren Gedanken gar nicht so genau mitbekommen, die Handlung sei viel interessanter. Bei seiner Frau sei das auch so, die wolle immer genau wissen, was er gerade denkt, und er könne das nicht ausstehen …

Es ist unvermeidlich, dass beim Lesen Trigger berührt werden können. Sie schlummern in unserem Unbewussten und machen sich meist indirekt bemerkbar. Alles kann zum Trigger werden, was wir unterschwellig mit einer alten Wunde verknüpfen. Wie gehen wir damit um? Wie gehe ich als Autor damit um? Kann ich es vermeiden? Will ich es vermeiden? Im neuen Roman habe ich dem Text eine Triggerwarnung vorangestellt, die allerdings selbst wieder zum Trigger werden kann. Es ist einfach zum Mäuse melken.

Lebendigkeit, Provokation und Humor

Trigger vermeiden zu wollen ginge auf Kosten meiner Lebendigkeit und die meiner Figuren. Was diese besonders prägt und verbindet, ist ihre spezielle Art von Humor. Wenn wir getriggert sind, ist unser Sinn für Humor oft das Erste, was uns abhandenkommt, und eine spaßig gemeinte Äußerung kann tief verletzen. Alex und Karoline sind passionierte Grenzgängerinnen auf diesem Gebiet und – ehrlich gesagt – ich auch. Wenn ich mich verstanden und sicher fühle, kann ich derbe Sprüche klopfen. Als Seminarleiter kommt das höchstens in homöopathischen Dosen zum Ausdruck.

Der Roman enthält einige weitere Provokationen. Manches beliebte Muster von Liebes- oder Erotikromanen lasse ich sich erstmal entfalten, um es dann genüsslich zu brechen. Die üblichen „Narrative“ transportieren regelmäßig Überzeugungen wie: „Befriedigender Sex geht leidenschaftlich und vor allem störungsfrei über die Bühne und endet mit einem gemeinsamen Orgasmus“. Oder: „Männer setzen Liebe ein, um Sex zu haben, und Frauen willigen in Sex ein, um geliebt zu werden.“ Aus meiner Sicht steht die Verbreitung solcher Narrative der Entfaltung unseres Liebeslebens im Wege. Durch ihre ständige Wiederholung strukturieren sie unser Unterbewusstsein. Den Zusammenhang entdecken wir erst bei näherer Betrachtung.

Sexpositiv oder polymorph pervers?

In Liebe, Sex und Wahrheit werden Themen berührt, die nicht jedem gefallen. Was halten wir z.B. von Pornos oder Swingerclubs? Was von Sexsucht? Macht zu viel Sex krank? Oder zu wenig? Wie stehen wir zu Prostitution oder Sexarbeit? Meinen wir uns persönlich, wenn wir miteinander Sex haben? Was ist wichtiger: Treue oder Freiheit? Verträgt Liebe Geheimnisse oder braucht sie sogar? Wieviel Wahrheit verträgt die Liebe? Gibt es eine unschuldige kindliche Sexualität? Sind wir ursprünglich alle polymorph pervers, wie Siegmund Freud mal behauptet hat?

Jedes dieser Themen hat schon Paare auseinandergebracht. Das kann passieren, muss es aber nicht, wie ich finde. Sich diesen Themen zu stellen ist manchmal ein steiniger Weg. Vor allem kollektiv gesehen stehen wir immer noch am Anfang, auch wenn „sexpositiv“ inzwischen ein gängiger Begriff ist. Zuweilen geht die Entwicklung auch wieder einen Schritt zurück und überwunden geglaubte, sexualfeindliche Moralvorstellungen kehren in neuem Gewand zurück. Die Meinungen darüber, was uns sinnvoller Weise vor Missbrauch schützt und was Sexualität als solche diskriminiert, gehen weit auseinander.

Wieviel Differenz halten wir aus? Der Paartherapeut David Schnarch hat die Auseinandersetzung über diese Frage Differenzierungsprozess genannt. Es geht dabei beileibe nicht nur ums Aushalten. Wie können wir Unterschiedlichkeit nicht nur tolerieren, sondern sie erotisch besetzen (um nicht zu sagen: geil finden …) und zugleich liebevoll umarmen? Was tun, wenn wir das nicht schaffen? Bleibt uns nur die Trennung?

Was hat das alles mit Tantra zu tun?

Mit dem Zitat „ein ungeschminkter Einblick in die Tantraszene“ habe ich für meinen ersten Roman geworben. Auch meine Bekanntheit als Tantralehrer hat wohl Erwartungen geweckt, die ich nicht erfüllt habe, auch wenn ein paar Szenen des ersten Bandes in Tantraworkshops spielen. Das Echo – auch dazu – fiel unterschiedlich aus. Manche erinnerten sich an eigene Erfahrungen und fühlten sich tief berührt. Für sie hätte der Roman aus nicht viel anderem bestehen müssen als den Szenen im Seminarhaus. Andere fühlten sich weniger angenehm berührt, teilweise weil sie Tantra ganz anders erlebt haben als Alex oder Karoline. Und wer zuvor nie einen Tantraworkshop besucht hat, wurde vielleicht sogar in Vorurteilen bestätigt, was sicher nicht meine Absicht war. Ich habe das unterschätzt, obwohl mir eigentlich hätte klar sein können, dass einen Roman zu lesen etwas ganz anderes ist als sich selbst in ein tantrisches Abenteuer zu begeben. Die Szenen sind zwar realistisch beschrieben, aber in keiner Weise repräsentativ. Das wäre auch seltsam, denn sie spiegeln weder Regeln noch Tatsachen wider, sondern einzigartiges, subjektives Erleben.

Hat mein Roman denn überhaupt etwas mit Tantra zu tun? Meine Antwort: Ja und Nein.

  • Nein, weil sich Tantra nicht als äußeres Geschehen wiedergeben lässt. Zudem geht es im zweiten Band noch weniger als im ersten um das, was unter dem Label „Tantra“ bekannt ist.
  • Ja, weil das, was ich unter Tantra verstehe, sich auf jeder Seite des Romans wiederfindet.

Was verstehe ich unter Tantra? Das bleibt – zumindest vorerst und in diesem Text – mein Geheimnis. Aber wer weiß, möglicherweise kommen wir über das eine oder andere der besagten Themen ins Gespräch. Das fände ich schön.

Wenn du den Roman gelesen hast und an Austausch interessiert bist, melde dich bitte oder hinterlasse unten einen Kommentar. Vielleicht finden wir ein geeignetes Format.

Saleem Matthias Riek: Liebe, Sex und Wahrheit (Roman)
Erscheinungsdatum: 17. Oktober 2023 bei BoD
Softcover: 356 Seiten * € 17,50 (D) * ISBN 978-3 7578 79150
E-Book:  € 9,99 (D) * In den ersten 6 Wochen: 7,99 € ISBN 978-3 7583 59477
 Ab sofort überall im Buchhandel erhältlich.

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Über Saleem Matthias Riek

Saleem Matthias Riek ist Heilpraktiker mit dem Schwerpunkt Paar- und Sexualtherapie, Tantralehrer, Diplom-Sozialpädagoge und lebt bei Freiburg im Breisgau. Saleem ist Autor mehrerer Bücher rund um Lust und Liebe, Tantra und Spiritualität. Bisher erschienen sind "Herzenslust" (auch als Hörbuch), "Leben, Lieben und Nicht Wissen", "Herzensfeuer", "Lustvoll Mann sein" und "Mysterien des Lebens". Weitere Bücher sind in Vorbereitung, u.a. eine Romantrilogie.
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3 Antworten zu Vom Abenteuer, einen Roman zu veröffentlichen

  1. Lea Söhner sagt:

    Vielen Dank für den schönen Artikel. Er spricht mir (als Romanautorin) aus dem Herzen. Denn auch wenn keinerlei biografische Elemente im Buch verarbeitet sind, kehrt man doch seine eigene Seele nach außen.
    Goethes „Wahlverwandtschaften“ handelte ja auch von Sex und Liebe und war damals ein Skandal Er sagte dazu, er hätte jede Silbe davon erlebt, doch es gäbe keine Silbe, die er auf diese Weise erlebt hätte.
    Auch heute gilt: wer wahrhaftig von und über Sex schreibt, triggert.
    Herzlich Lea Söhner

  2. Pingback: Wenn der Sex nicht ist, wie er scheint | Saleems Blog

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