Vor dem entscheidenden Vorrunden Endspiel gegen Ghana waren sich alle deutschen Spieler inklusive Trainer demonstrativ einig, dass man keine Angst habe vor der Blamage, schon nach der Vorrunde aus dem Turnier auszuscheiden. Man war sich sicher, weiter zu kommen. Und so kam es dann auch. 1:0, Deutschland ist eine Runde weiter. Soweit so überzeugend.
Wenn da nicht auch das übernervöse Spiel der deutschen Mannschaft gewesen wäre. Und im Nachhinein wurde es dann auch zugegeben: diese jungen Spieler hätten eben Angst gehabt, als erste deutsche WM Auswahl in der Vorrunde zu scheitern und so in die WM-Historie einzugehen. Kann man ja verstehen. Aber warum konnte oder wollte das vorher keiner zugeben?
Wie im Fußball, so im Leben. Die Faszination Fußball ist weltweit so groß, da müssen ganz archaisch-menschliche Qualitäten angesprochen sein, die zum Ausdruck kommen und kulturübergreifend reichlich Identifikationsmöglichkeiten schaffen. Und eine davon ist: wie gehen wir damit um, wenn wir vor etwas Angst haben? Und wenn dies unserer Ansicht nach auf keinen Fall passieren darf? Sind wir uns dann sicher, dass der Fall nicht eintreten wird? So wie bei Atomkraftwerken, bei Finanzkrisen oder demokratischen Wahlen?
Was spricht dagegen, uns unsere Angst einzugestehen? Philip Lahm als deutscher Kapitäne tat freimütig kund, das habe er bei Bayern München gelernt: sich nur das Positive vorstellen, sich mit dem Negativen gar nicht erst zu beschäftigen. Klingt, als haben die Bayern-Verantwortlichen das Buch „The Secret“ gelesen: wir müssen eben einfach dran glauben, dann wird das schon! Ich frage mich ja schon lange, was passieren würde, wenn auch andere Trainer das Buch lesen, entsprechend vorgehen und dann keiner mehr verlieren kann. Wer würde dann die WM gewinnen?
Aber hat nicht auch ein anderer deutscher Kapitän – er ließ sich allerdings Führer nennen – ganz fest an den Endsieg geglaubt? Und dann auch noch jeden Zweifel daran bis zum bitteren Ende gnadenlos verfolgt? Ein sehr böser Vergleich, ich gebe es zu. Und ich mag Philip Lahm, er ist ja absolut unschuldig in seiner Art, und sein sehr menschlicher Führungsstil ist gerade auch für eine deutsche Mannschaft aller Ehren wert. Aber diese Philosophie des „Bloß die Angst nicht spüren, bloß keine Angst vorher zugeben, sonst geht es schief“, die hat eben durchaus ihre Gefahren. Siehe Weltklima, siehe Wirtschaftsystem, siehe Gentechnik, etc. pp.
Rede ich nun also der deutschen Sekundärtugend, dem sich Sorgen machen, das Wort? Nein. Ich plädiere mal wieder dafür, das Paradox anzuerkennen, das darin liegt, uns voll und ganz für das zu engagieren, was wir uns wünschen, und an seinen Erfolg zu glauben, UND die Ängste dabei nicht zu verdrängen, sondern sie anzuerkennen und sie dann quasi auf den „Beifahrersitz“ zu setzen. Sie dürfen dasein. Wir fühlen sie, und sie kann unsere Motivation sogar noch beflügeln. Aber am Steuer, da sitzt doch am besten die Seite, die weiß wo ich hin will.
So werde ich also das Spiel gegen England morgen voller Zuversicht anschauen, gepaart mit meiner Sorge, dass „wir“ doch auch ausscheiden könnten, und mir selbst bei meinen Gefühlsachterbahnen zuschauen und sie genießen. Und mich daran erinnern, es ist ja „nur“ Fußball.
Aber, in diesen Tagen, da sich Angela Merkel anschickt, den G20 Gipfel der Regierungschefs für einen Besuch des Schicksalsspiels Deutschland gegen England kurzzeitig zu schwänzen, was kann da eigentlich noch wichtiger sein als Fußball?
Ich grüße Sie herzlich
Saleem Matthias Riek
Als Enneagramm-Junkie habe ich mal gelernt, dass man Deutschland zu den Angst-Fixierungen zählen kann, speziell zu der Sechser-Fixierung, der Kernfixierung unter den Angst-Fixierungen. Im Mittelpunkt steht hier die Angst vor der Angst, die ständig neu durch Projektionen, Mind reading, etc. erschaffen und dann unterdrückt und nicht gefühlt wird. Das wäre doch eine schöne Erklärung, oder…? Diese Angst wird entweder phobisch durch Unterordnung, Gehorsamkeit für Autorität – also so eine Art Duckmäusertum – kanalisiert oder kontraphobisch in heldenhaften Kamikaze-Aktionen ausgelebt. Deinen Vorschlag, Saleem – die Angst auf den Beifahrersitz zu setzen – geht wohl nur dann, wenn der Steuermann bereit ist die Angst volle Kanne zu empfinden (so wie Lampenfieber) um dann überhaupt zu erleben, dass er noch etwas anderes als Angst ist (er lässt sich eben nicht durch Angstüberspielmethoden à la The Secret für dumm verkaufen…)