Im Klimaschock

Die kollektive Bedrohung und ihre Verarbeitung

Die schlechten Nachrichten reißen nicht ab, die Entwicklung verläuft möglicherweise noch viel schneller als prognostiziert. Obwohl die Warnung nicht neu ist, dass das Überleben der menschlichen Zivilisation auf diesem Planeten ernsthaft in Gefahr ist, kommt der Schock bei vielen Menschen erst jetzt tatsächlich an.

In den letzten Monaten habe ich dazu verschiedene Ebenen intensiv erforscht, bis hinein in die Grundbedingungen unserer menschlichen Existenz. In diesem Text werde ich das Thema von seiner Oberfläche bis in tiefere Dimensionen hinein ausleuchten. (Quellenangaben finden sich im Text, weiterführende Links in der gegliederten Linkliste im Anhang). Dabei entwerfe ich eine Landkarte, die individuelle Reaktionsweisen auf den Schock einfühlbar werden lassen und sie in eine – hoffentlich  – hilfreiche Ordnung bringen.

Hier noch eine Triggerwarnung: Manchmal wähle ich drastische Formulierungen, um Phänomene zu verdeutlichen. Sie scheinen mir jedoch angemessen.

Die Forschungsreise

Lass dich überraschen, wohin diese Forschungsreise führt. Hier ein Ausblick auf einige der Fragen, denen ich nachgehe:

  • Wie verarbeiten wir den Klimaschock?
  • Wie bewerten wir die Warnungen der Wissenschaft?
  • Wird alles maßlos übertrieben oder begehen wir gerade das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte?
  • Wie gehen wir mit Schuld und Verantwortung um?
  • Was wird aus Wohlstand, Freiheit und Demokratie?
  • Wie gehen wir mit unserem Schmerz um, wie mit Gefühlen von Wut, Trauer, Angst oder Scham?
  • Was bleibt uns außer dem Rückzug ins private Glück, Spiritualität oder Resignation?
  • Welche Rolle spielt unsere (Un-)Fähigkeit, Widersprüche  zu ertragen?
  • Wie spiegelt sich in der Klimakrise unser Verhältnis zum Tod und zu allem, was größer ist als wir?
  • Welche Konsequenzen ergeben sich für sinnvolles Handeln – jenseits von blankem Aktionismus?

Nicht nur das Weltklima, sondern auch die öffentliche Debatte heizt sich immer weiter auf. Am 20. September 2019 sind weltweit Millionen von Menschen für einen konsequenteren Klimaschutz auf die Straße gegangen. Die „for-future“-Bewegung wächst, doch der Widerstand dagegen ebenfalls. Manche werden nicht müde, den Klimawandel als Schwindel zu deklarieren, dazu erfunden, uns Geld aus der Tasche zu ziehen. Auch solche Rückmeldungen bekam ich auf meinen letzten Text und bin darüber erschrocken, zugleich aber auch froh, dass die Einladung zum Dialog angenommen wurde.

Dass es den Klimawandel gibt, wird kaum noch bestritten, zu sehr ist er längst auch in unseren Breiten angekommen (wenn auch glimpflich, im Vergleich zu anderen Teilen der Welt). Doch noch immer werden Zweifel daran geäußert, dass er wesentlich von uns Menschen verursacht wird.

Der Schock und die Phasen seiner Bewältigung

Dass wir Menschen an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen, ist eine schwer verdauliche Nachricht – obwohl schon seit Jahrzehnten bekannt. Der Schock sitzt tief und ist auf individueller Ebene mit dem Schock bei Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit vergleichbar. Er verschärft sich noch durch die Erkenntnis, dass wir die Katastrophe wesentlich selbst herbeiführen, indem wir uns von der Natur entfremden und ihre Schätze gnaden- und grenzenlos ausbeuten.

Die meisten Menschen reagieren auf eine solche Diagnose mit typischen Reaktionsmustern, wie sie von der Sterbeforscherin Kübler-Ross beschrieben wurden, nämlich Nicht-Wahrhaben-Wollen, Zorn, Verhandeln, Depression und Zustimmung:

  • Zunächst können und wollen wir es einfach nicht glauben,
  • dann werden wir wütend auf diejenigen, die aus unserer Sicht die Schuld an unserer Erkrankung tragen: die Umweltgifte, die Krebszellen, die Pharmaindustrie, unsere Eltern oder ggfs. auch auf uns selbst.  
  • In der dritten Phase „verhandeln“ wir: Wenn ich sofort aufhöre zu rauchen und zu trinken, eine strenge Diät einhalte und lerne mich selbst zu lieben, werde ich dann wieder gesund, lieber Gott? Sage mir, was ich tun muss, ich werde alles tun, wenn ich nur wieder gesund werde.
  • Wenn wir merken, dass auch das nicht ohne weiteres funktioniert, geben wir auf, werden bitter und ziehen uns resigniert vom Leben zurück. Es bringt ja sowieso alles nichts.
  • Erst in der letzten Phase – wenn wir diese überhaupt erreichen, denn das ist kein Selbstläufer – machen wir unseren Frieden mit unserer Krankheit und mit der Aussicht auf den nahenden Tod.

Mit dieser Zustimmung können wir das, was das Leben uns noch schenkt, eher genießen, können unser Verhalten sinnvoll an die Umstände anpassen, lernen die Prioritäten neu zu setzen und friedlich zu sterben. Oder wir werden wie durch ein Wunder tatsächlich wieder gesund.

Die Parallelen bei den Reaktionen auf die Klimakrise sind leicht zu erkennen. Ich würde sie so zusammenfassen:

  1. Verdrängung und/oder Verleugnung des Klimawandels bzw. dessen Verursachung durch den Menschen
  2. Zorn auf diejenigen, welche ihn vorantreiben oder trotz aller Warnungen nicht verhindern, obwohl sie die Macht dazu hätten (Regierungen, Konzernchefs, Banker …)
  3. Versuch, mit vorbildlich ökobewusstem Verhalten alles zum Guten zu wenden
  4. Resignation bis Fatalismus
  5. Akzeptanz der aktuellen Situation, verbunden mit der Bereitschaft zur realistischen und sinnvollen Wahrnehmung verbleibender Handlungsoptionen.

Dass es sich nicht nur um eine individuelle, sondern um eine globale Krise handelt, macht die Situation erheblich komplexer. Unsere Zugehörigkeit zu und unser Platz in der Gemeinschaft, – letztlich in der Weltgemeinschaft – ist angesprochen. Wenn die Gemeinschaft als ganze etwas verbockt, inwieweit geht mich das überhaupt etwas an? Inwieweit fühlen wir uns mitverantwortlich oder machen uns mitschuldig?

Abwehr und Verleugnung

Schuld und Verantwortung sind brisante Themen, die viele Menschen mental und gefühlsmäßig überfordern. Als Greta Thunberg ihre anklagende Rede beim UN-Gipfel hielt („How dare you!“), konnten die Reaktionen unterschiedlicher kaum ausfallen. Ein 16-jähriges Mädchen löst das ganze emotionale Spektrum aus, von Liebe und Bewunderung bis zu Hass und Verachtung, das Ganze bis hinauf in die Chefetagen von Regierungen, Presse und Fernsehen. Das alles im Wesentlichen durch den emotional aufgeladenen Hinweis, dass die Entscheidungsträger seit Jahrzehnten bekannte Erkenntnisse der Wissenschaft ignorieren und die Zukunft der Menschheit vor die Wand fahren.

Es ist leider menschlich, dass wir angesichts katastrophaler Aussichten auf Abwehr schalten. Es handelt sich um eine psychische Notfallreaktion, die uns aber auf Dauer nicht weiter hilft.

Ich bin mir nicht sicher, ob der nächste Abschnitt überhaupt Sinn macht. Den einen sage ich vielleicht wenig Neues, die anderen wollen nichts davon wissen. Letztere Erfahrung machte ich auch in Zusammenhang mit meinem Blogeintrag „Tantra for future?“. Verleugnung bewirkt oft eine frustrierende Gesprächs-Dynamik und macht echten Dialog unmöglich. Sie wird selten aufgrund guter Argumente aufgegeben, denn sie schützt ihre Verfechter vor einem psychischen Abgrund. Aber einen Versuch will ich wagen.

Die Greta Frage – unser Verhältnis zur Wissenschaft

Wir haben in der Regel kaum Probleme, technischen Geräten zu vertrauen, die Ergebnis wissenschaftlicher Forschung sind, sonst würden wir in kein Flugzeug steigen und keinen Computer benutzen. Und Eltern haben – zumindest in Deutschland – in der Regel kein Problem damit, wenn ihre schulpflichtigen Kinder auf der Basis des aktuellen Standes der Wissenschaft unterrichtet werden. Manche haben aber anscheinend ein massives Problem damit, wenn ihre Kinder das, was sie dort lernen, ernst nehmen und Konsequenzen daraus ziehen, sie also nicht nur um der guten Noten willen pauken. Was ist da los?

Über Wissenschaft kann man trefflich streiten. Das spricht aber nicht gegen sie, denn Zweifel gehört – wenn sie seriös betrieben wird – zu ihrem Geschäft. Sie hat sich schon oft getäuscht. Genau genommen täuscht sie sich immer, sie spricht niemals die ganze Wahrheit, sondern sucht stets das am besten passende Modell der Wirklichkeit, um dieses später zugunsten eines noch adäquateren wieder zu verwerfen. Allerdings hat sie sich oft auch vor den Karren von Interessengruppen spannen lassen getreu dem Motto „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“. Man denke nur an die obskuren Studien im Auftrag der Pharmaindustrie oder an medizinische Menschenversuche im Nationalsozialismus.

Doch solche dubiosen „Studien“ sind nun wirklich nicht vergleichbar mit der zu weit über 90 Prozent gesicherten Erkenntnis, dass und wie der von Menschen verursachte Ausstoß von CO2 den Klimawandel wesentlich mitherbeiführt. Wer auf Facebook unterwegs ist, wird dennoch auf unzählige (nur auf den ersten Blick seriös erscheinende) Meldungen stoßen, die das anzweifeln. Immer wieder wird behauptet, das Ganze sei eine Verschwörung, um uns mit Klima-Steuern und Abgaben abzuzocken.

Folgen wir einen Moment dieser Logik, wären die Verschwörer so gewieft, fast alle Staaten dieser Erde (die sich höchst selten auf ein globales Abkommen einigen können) hinters Licht zu führen. Alle fallen auf die angebliche Klimalüge herein und unterschreiben brav den Vertrag von Paris? Mamma mia!

Aber dann setzen die Staaten das, was sie unterschrieben haben, mehrheitlich gar nicht um. Das lässt die abwegige These von der Weltherrschaft einer Ökolobby vollends in sich zusammenfallen. Meines Wissens nach hat kaum ein Land der Erde bisher Steuern und Abgaben in nennenswerter Weise erhöht, um den Klimaschutz voranzubringen. Die USA unter Trump sind offiziell aus dem Abkommen ausgestiegen. Ausgerechnet Trump als einsames Bollwerk gegen eine Welt im Bann der Lüge?

Die Potenz zur Lüge

Mal abgesehen von dieser traurigen Gestalt, deren krasser Narzissmus wohl kaum zu übersehen ist: Glaubt jemand im Ernst, die Lobby der Solar- und Windkraftenergie sei soviel mächtiger als die gesamte etablierte Wirtschaft am Tropf der fossilen Energieträger? Dass Exxon Mobile, Shell & Co. es nicht schaffen würden, ein solch monströses Lügengebilde zu widerlegen? Shell und Exxon wissen schon seit über 30 Jahren über den Treibhauseffekt durch CO2 Bescheid, haben ihre Forschungsergebnisse aber unter Verschluss gehalten. Warum wohl?

Allerdings gibt es auch „Gewinner“ der Klimakrise: Firmen, die – noch – von ihr profitieren oder unseriöse Ökofonds, die Anlegern grünes Geld aus der Tasche ziehen, ohne Nachhaltiges zu bewirken. Daraus abzuleiten, dass die gesamte Krise ein großangelegtes Täuschungsmanöver sei, ist so überzeugend wie die Behauptung, der Regen sei eine Erfindung der Regenschirmindustrie.

Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit der Katastrophe weit geringer wäre als die von Klimaforschern behaupteten 99 Prozent: Würden wir mit einem Flugzeug weiter fliegen, wenn es auch nur mit 10%iger Wahrscheinlichkeit demnächst abzustürzen droht? Wohl kaum, wir würden sofort nach einer Möglichkeit Ausschau halten, um notzulanden. Es sei denn, es verhält sich wie bei Suchtkranken; Raucher z.B. sind bekanntermaßen in der Lage, schockierende Warnhinweise zu ignorieren.

Um Logik geht es im Falle von Verleugnung offensichtlich nicht, diese bittere Erkenntnis macht wahrscheinlich jeder, der sich auf eine Diskussion mit hart gesottenen Klimawandelleugnern einlässt. Unter denen befinden sich interessanter Weise besonders häufig Menschen, die Zuwanderung ablehnen. Wenn jemandem tatsächlich daran gelegen ist, dass nicht die halbe Welt im eigenen Land Zuflucht sucht: Warum interessiert der sich nicht dafür, wie die Lebensgrundlagen in den Herkunftsländern verbessert werden können oder wir zumindest nicht weiter an deren Zerstörung mitwirken?

Im Dienste der Verleugnung entwickeln wir zuweilen abenteuerliche Fähigkeiten. Wir alle sind jederzeit in der Lage, uns die Welt so zurecht zu erklären, wie es uns in den Kram passt.

Mir ist wohl bewusst, dass auch ich selbst davor nicht gefeit bin. Möglicherweise bin ja ich derjenige, der hier etwas nicht wahrhaben will.
Doch wann wollen wir etwas nicht wahrhaben? Wenn wir die Wahrheit nicht ertragen können. Wenn diese aber darin bestünde, dass es keinen Klimawandel gibt oder dieser längst nicht so dramatisch ausfällt wie behauptet: Also über derart „Wahrheit“ würde ich mich freuen, die müsste ich nicht verdrängen. Die wenigsten verleugnen die Diagnose, dass sie gesund sind. Es sind die existenz-bedrohenden Diagnosen, auf die wir zunächst mit Verleugnung reagieren. Das ist in der Regel keine bewusste Wahl, sondern ein innerer Zwang, der sich – wenn überhaupt – nur durch Einfühlung lösen lässt.

Verleugnung muss in diesem Fall nicht bedeuten, den Klimawandel bzw. dessen Ursachen insgesamt zu bezweifeln. Vielleicht verleugnen wir auch nur, inwieweit wir selbst bzw. unsere Lebensgewohnheiten Teil des Problems sind: Hin und wieder ein Flug nach Thailand oder regelmäßig ein saftiges Steak auf dem Teller, das kann ja wohl nicht das Problem sein. Ich lasse ja schon hin und wieder das Auto stehen und nehme das Fahrrad… Nein, Steak und Thailandurlaub sind nicht DAS Problem, aber eine Facette davon. Wie stehen mit solchen Gewohnheiten ja nicht allein. Wie es so schön heißt: Du stehst nicht im Stau, du bist der Stau! Wenn wir uns das eingestehen, wird es ziemlich ungemütlich. Heißt das, wir müssen ab sofort auf alles verzichten, was das Leben attraktiv macht? Nein. Manche Menschen reagieren mit möglichst vorbildlichem Verhalten, doch auch das ist nicht das Ende vom Lied und keine echte Lösung. Dazu später mehr.

Komfort, Schuld und Verantwortung

Was uns nicht in den Kram passt oder besser gesagt hoffnungslos überfordert, sind vor allem diese drei Herausforderungen:

  1. Wir wollen auf nichts verzichten, was uns das Leben komfortabel oder zumindest erträglich erscheinen lässt.
  2. Wir wollen keine Verantwortung für etwas übernehmen, demgegenüber wir uns komplett ohnmächtig fühlen.
  3. Wir ertragen es nicht, uns in diesem Ausmaß schuldig zu fühlen.

Ich kann diese drei Motive gut mitfühlen, ich finde sie auch in mir.

  1. Verlust von Komfort
    Ein harmlos klingendes Wort, aber es geht ans Eingemachte. Die Bedrohung durch Komfortverlust triggert jeden von uns an anderer Stelle, aber wenn sie uns trifft, können wir zur rasenden Wildsau werden. Keine Flug- und Fernreisen? Kein SUV? Nur Tempo 130 auf der Autobahn? Kein Fleisch? Keine Avocados? Im Winter keine Tomaten? Nicht das neueste Handy? Allein schon bei dem Gedanken an Verzicht rasten manche aus (siehe Kommentare in den sozialen Medien), obwohl es derzeit noch nicht um das AUS für alle diese vermeintlich unverzichtbaren Annehmlichkeiten geht, sondern um deren Reduktion.

  2. Verantwortung
    Verantwortung ist nicht gleich Schuld. Sie richtet sich vor allem auf die Gegenwart und auf die Zukunft, weniger auf die Vergangenheit. Verantwortlich zu sein heißt bereit zu sein, unsere Antwort auf eine gegebene Situation zu finden. Aber wie sollen wir auf eine Situation antworten, die sich als niederschmetternd und aussichtslos darstellt? Wenn wir das an uns heranlassen, kann es uns zerreißen. Es ist schwer auszuhalten, dass wir selbst mit vorbildlichem Verhalten (Verzicht auf Auto, Fleisch, Flüge, Smartphone oder große Wohnung) durch die Teilhabe an der Infrastruktur der westlichen Welt womöglich immer noch mehr CO2 verbrauchen, als uns rechnerisch pro Kopf zustehen würde. Die Verantwortung können wir individuell gar nicht übernehmen, es muss kollektiv etwas geschehen. Aber wie sollen wir das anstellen, wenn „die da oben“ sich taub stellen oder uns mit hohlen Reden zu beschwichtigen versuchen?

  3. Schuld
    Wenn es stimmt, was die Wissenschaft prophezeit, dann werden nicht Millionen, sondern möglicherweise Milliarden Menschen an den Folgen des Klimawandels leiden oder sterben. Wenn es so kommt, wäre es nicht übertrieben, wenn spätere Generationen über uns sagen: Die Verschleppung geeigneter Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels war das mit weitem Abstand größte Verbrechen, das Menschen jemals begangen haben. Wer kann diese Schuld aushalten, wer sie anerkennen? Sie ist zu groß.
    Meine Eltern waren bis zu ihrem Tod ca. 60 Jahre nach Kriegsende überfordert, sich einzugestehen, dass sie genau Bescheid gewusst hatten, was im 3. Reich mit den Juden passierte. Wären nicht die Memoiren meines Großvaters und sein Briefwechsel mit meiner Mutter erhalten geblieben, in denen er sich als überzeugter Nazi zu erkennen gibt und wie nebenbei die Deportationen im Baltikum erwähnt (wo er stationiert war), ich hätte meiner Mutter ihre „Wir wussten doch von nichts“-Attitüde voll abgekauft. Am 5. Mai 1945 schreibt er: „Gestern Abend war ich zu einer Gedächtnisfeier für den toten Führer im Theater. Es war eine sehr schöne Feier mit sehr guter Musik und der General v. M. sprach sehr gut, dessen Rede dann ausklang in den Worten: >>Die Idee lebt weiter und Deutschland muss leben!<< Und dafür müssen wir weiter unser Leben einsetzen.“

Zorn, Wohlverhalten und Resignation

Wenn wir der Versuchung widerstehen, die Krise (und unsere Mitverantwortung) zu leugnen und damit die obigen drei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, setzen die nächsten Reaktionsmuster ein: Zorn und/oder Wohlverhalten.
Auch diese sind verständlich und teils sinnvoll, doch wenn wir darin stecken bleiben, helfen auch sie nicht weiter. Es handelt sich um zwei Seiten einer Medaille:

  • Entweder wir richten unser Entsetzen nach außen und hassen die Politiker und Wirtschaftsführer für das, was sie angerichtet haben und immer noch weiter anrichten.
  • Oder wir sind uns dessen bewusst, dass jede Veränderung bei uns selbst anfangen muss, essen bio und vegan, kaufen unverpackt und second hand, fliegen nicht mehr, fahren mit den Rad und – wenn es zu weit ist oder es keine zumutbaren öffentlichen Verkehrsmittel gibt – auf der Autobahn nicht schneller als 120.

Ich kenne allerdings niemanden, der ökologische Korrektheit immer einhält. Wir alle begehen unsere kleineren oder größeren „Sünden“, was uns schon mal kiebig werden lässt, wenn im Freundeskreis einer es wagt, einen SUV zu fahren oder nach Hawaii zu fliegen („Wie kannst du nur?“) oder – noch schlimmer – jemand uns auf unsere eigenen „Sünden“ aufmerksam macht.

Beides, der Zorn auf die Politik und die eigene Verhaltensumstellung, können einen wichtigen Beitrag leisten auf dem Weg zu bewussterem und verantwortungsvollerem Umgang mit der Krise. Doch wenn wir dabei stehen bleiben, reiben wir uns auf und es folgt als nächste Stufe unweigerlich die Resignation. Was hilft es, wenn ich kein Fleisch mehr esse, die Supermärkte aber von schamlos billigem Fleisch überschwemmt werden und dafür in Brasilien die Urwälder brennen? Was hilft es, nicht mehr zu fliegen, wenn in China 200 neue Flughäfen gebaut werden sollen? Was hilft es, wenn ich Petition um Petition unterschreibe und mit Millionen anderen auf die Straße gehe, die Bundesregierung aber nur ein weiteres Mogelpaket auf den Weg bringt und sogar das noch abschwächt? Von anderen Ländern, die noch weniger tun, ganz zu schweigen.

Wirtschaftswachstum, das goldene Kalb

Die Fokussierung auf individuelle Verhaltensänderung („Wenn nur jeder …“) greift systematisch zu kurz. Sie blendet aus, dass wir in einem Wirtschaftssystem leben, das nur durch Wachstum funktioniert. Wirtschaftswachstum ist das goldene Kalb, um das wir tanzen, koste es was es wolle, und auch die Partei der Grünen tanzt unverdrossen mit. Massenhafter Konsumverzicht wäre in diesem System ökonomisch gar nicht verkraftbar. Ein paar „Gutmenschen“ dürfen gerne ihren CO2-Gürtel enger schnallen, aber dann sollen sie bitteschön Ruhe geben.
Solange wir am Wirtschaftswachstum festhalten, geraten wir auch mit gutgemeinten Innovationen meist vom Regen in die Traufe, wie wir bei Biosprit (E10) oder Elektroautos sehen können. Zu suggerieren, dass technischer Fortschritt oder individueller Konsumverzicht die Probleme schon noch lösen werde, ohne sich zu fragen, wie der Übergang in eine Postwachstumsgesellschaft überhaupt vonstatten gehen kann, lenkt von der bitteren Wahrheit ab: Es kann und wird nicht ewig so weiter gehen, mit ein paar kosmetischen Reparaturen ist es definitiv nicht getan. Und es gibt gute Gründe, die Krise viel umfassender zu verstehen als nur eine zu hoher CO2-Emissionen. Es geht letztlich um das Gewahrsein, dass Natur mehr ist als eine wirtschaftliche Ressource. Ob wir es wahrhaben wollen oder nicht: Wir sind untrennbarer Teil der Natur. Wie konnten wir das vergessen? Wieviel Entfremdung von unserer inneren Natur war nötig, um die äußere dermaßen auszubeuten und zu vergiften?

Der folgenreiche Anstieg von CO2 in der Erdatmosphäre ist nur ein Symptom unter vielen. Dass nun gerade die Erderwärmung durch den CO2-Treibhauseffekt den Alarm auslöst und die Massen auf die Straßen bringt, sollten wir besser nicht als „Alarmismus“ denunzieren, um uns lieber auf konsensfähige Maßnahmen zum Naturschutz zu verständigen. Das klingt nach einem Plädoyer, sich in einem brennenden Haus um die gesundheitsgefährdenden Baustoffe zu kümmern, anstatt vorrangig den Brand zu löschen.

Ökodiktatur? Die Natur selbst ist der „Diktator“!

Wird unsere Gesellschaft freiwillig den Maßnahmen zustimmen, die zumindest zur Abmilderung der Krise notwendig wären? Zweifel sind leider angebracht. Die Bundesregierung redet sich aus ihrer Verantwortung, indem sie behauptet, die notwendigen Maßnehmen seien in einer Demokratie nicht durchsetzbar.
In Mainstream-Medien wird immer wieder die Behauptung aufgestellt, wir steuerten auf eine Ökodiktatur zu, die harmlos daherkommende „4-Future“-Bewegung trage antidemokratische Züge und trete die Gefahr eines Ökoterrorismus los. Die Bewegung sei zu radikal, unnachgiebig und nicht so kompromissfähig, wie es in einer Demokratie nun mal notwendig sei. Es stünde ja jedem frei, sich umweltschonend zu verhalten, aber andere oder gar die ganze Welt dazu zwingen? Das ginge zu weit!

Diese Denke geht so: Du willst etwas Sinnvolles tun und kaufst nur Bio und frei von Plastik? Bravo! Du kannst jetzt sogar bei den großen Supermarktketten ein paar Gemüse- und Obstsorten ohne Plastik erwerben und ruhigen Gewissens nach Hause tragen. Aber bitte lass anderen die Freiheit, ihre Ware praktisch und hygienisch verpackt und versiegelt zu kaufen, wir leben doch in einem freien Land. Du musst doch nicht mit einem SUV über die Autobahn brettern, du musst doch nicht nach Kreta oder Hawaii fliegen, aber lass doch bitte anderen den Spaß!

Von Mord und falschverstandener Freiheit

Hier liegt ein fundamentales Missverständnis von Freiheit vor. Individuelle Freiheit findet zu Recht ihre Grenzen da, wo sie die Freiheit anderer tangiert. Käme jemand auf die Idee zu behaupten: Du möchtest gewaltfrei leben und lehnst Mord ab? Kannst du doch! Niemand zwingt dich, jemanden zu verprügeln oder umzubringen. Aber Verbote??? Lass doch bitte anderen das Vergnügen! Analog zum neuen Tierwohl-Siegel könnten wir noch ein „fair-human-being“-Siegel einführen für Menschen, die keine Gewalt anwenden oder niemanden umbringen! Könnte doch andere motivieren, es ihnen gleich zu tun.

Genau das ist die Logik, wenn wir anderen erlauben, so schnell zu fahren, wie sie wollen, Tiere unter unwürdigen Bedingungen zu halten, wirtschaftlich schwächere Handelspartner gnadenlos auszubeuten, Berge von Plastik zu produzieren, der die Ozeane vermüllt oder durch konventionelle Landwirtschaft Insekten aussterben zu lassen.

Dazu kommt: Unsere angeblich so freiheitliche Demokratie hat bis heute gar keine Freiheit für alle gebracht. Schon im antiken Athen – der sogenannten Wiege der Demokratie – hatten Sklaven und Frauen ganz selbstverständlich kein Stimmrecht. Das Prinzip ist heute noch das Gleiche: Reiche Staaten leisten sich Demokratie, für deren Bestand und Wohlbefinden Männer, Frauen und Kinder in anderen Teilen der Welt unter unmenschlichen Bedingungen schuften. Sklaverei-Outsourcing könnte man das nennen. Es klingt nicht nur so, es ist zynisch.

Natur als Terrorist

Die noch schockierendere Nachricht für die angeblichen Demokratie-Verteidiger ist diese: Natur ist nicht demokratisch. Sie kann nicht abgewählt werden. Sie herrscht alternativlos. Sie kann grausam sein, aber sie ist überweigend unglaublich großzügig und schenkt uns, was wir brauchen, im Überfluss, wenn … ja wenn wir ihre Gesetze respektieren oder noch besser uns als Teil von ihr begreifen. Wenn wir jedoch – wie wir es bereits seit Jahrhunderten und seit Jahrzehnten immer krasser tun – glauben, intelligenter zu sein als die Natur, sie gnadenlos ausbeuten und zerstören und sie als die Grundlage unseres Lebens missachten, dann wird Mutter Erde immer häufiger zum schrecklichsten aller Terroristen, wie wir regelmäßig aus den Nachrichten entnehmen können.

Wir können all diese Nachrichten von uns weghalten, bis wir irgendwann selbst getroffen werden. Wenn es so weiter geht, wird das in nicht allzu ferner Zukunft passieren, die Dürre-Sommer haben uns einen Vorgeschmack davon gegeben, und Hurrikans könnten in nicht allzu ferner Zukunft auch Europa treffen. Wer es also ernst meint mit der Demokratie, der wird die Hoheit der Natur anerkennen und den Verkündern ihrer Gesetze und Bedingungen wohlwollendes Gehör schenken. Über Mittel und Wege, die Natur zu schützen und zu erhalten, lässt sich debattieren und abstimmen, über die Naturgesetze selbst wohl eher nicht.

Auferstehung im Kinosessel

An mahnenden Tönen, wie ich sie gerade anschlage, herrscht nun schon lange kein Mangel mehr – im Gegenteil. Ihre Wirkung tendiert gegen null, denn „die Apokalypse ist leider auserzählt“. Wer kennt sie nicht, zumindest aus den Trailern, die Katastrophen-Blockbuster, die uns den Weltuntergang visuell und auditiv nahebringen? Meist betritt dann doch noch irgendein Held die Bühne und rettet die Welt.

Aber auch wenn dies nicht geschähe: Tief in unserem Unterbewusstsein ist fest verankert, dass wir nach jedem Horrorfilm noch immer bequem wieder aus dem Kino- oder Fernsehsessel auferstanden sind. Wir sind sowas von abgebrüht. Auf jede Meldung der drohenden Klimakatastrophe folgt stets eine vergleichsweise harmlose Meldung: Polittheater, Konjunkturprognose, Tod eines Lieblingsschauspielers oder noch einlullender: ein Werbeblock mit penetrant heiterer Stimmlage. Mercedes hat kürzlich in der Kategorie zynischer Werbung den Hauptpreis verdient: „Wenn dieser Sommer noch nicht warm genug war, dann heizt der Mercedes-AMG GLA 45 4Matic mit diesem heißen roten Lack noch mehr ein. (193 Gramm CO2/km).“ Nach dem fälligen Shitstorm ist Mercedes zurückgerudert, jetzt heißt es wieder im üblichen Rahmen: „Der neue GLC strahlt noch mehr SUV-typische Präsenz aus, ohne sich aufzudrängen. Ein Sinnbild für modernen Luxus.“

Alles halb so wild, man gönnt sich ja sonst nichts und es wird immer heißer gekocht als gegessen. So wird es uns auch mit dem Klimawandel ergehen.

Aber was, wenn nicht?

Unsere Psyche hat für die realistische Möglichkeit, dass die Menschheit kollektiven Suizid begeht, gar keine Empfangsrezeptoren mehr. 

Der Weg durch den Schmerz

Wenn wir den Zustand der Natur trotz verständlicher Widerstände an uns heranlassen, dann spüren wir Schmerz, abgrundtiefen Schmerz. Als ich meinen letzten Text zum Thema schrieb, wurde ich davon immer wieder überschwemmt, es hat mich schier zerrissen. Ich habe mich tatsächlich gefragt, ob ich ein seelisches Schmerzbedürfnis habe und dieses an der Klimafrage festmache, weil es sonst weit und breit keinen Grund in meinem Leben gibt, dieses auszuleben. Ich bin gesund, lebe in einer glücklichen Beziehung, habe eine erfüllende und sinnstiftende Arbeit, genug Geld, ein schönes Zuhause … braucht meine Seele vielleicht etwas, woran sie leiden kann?

Freunde machten mich darauf aufmerksam, dass es genau umgekehrt sein könne: Gerade weil ich in meinem Leben so glücklich bin, kann ich den Schmerz über den Zustand der Natur überhaupt an mich heranlassen, andernfalls müsste ich viel früher dichtmachen.

Wie dem auch sei, ich bekam eine für mich sehr wertvolle Rückmeldung von einem Wildnis-Pädagogen: Dieser Schmerz trete häufig auf, wenn Menschen sich mit ihrer inneren und äußeren Natur wiederverbinden und merken, was alles tief verletzt ist. Das hat mir sowohl geholfen, den Schmerz zuzulassen und zu spüren, als auch, mich nicht darin zu verlieren und weiter zu gehen. Der Weg aus der Resignation führt unweigerlich über das Fühlen des Schmerzes, den wir mithilfe von Resignation weggesperrt haben. Dann erst öffnet sich die Tür für die nächste Stufe der Schockbewältigung.

Was Akzeptanz bedeutet und was nicht

Die Akzeptanz dessen, was ist, und die daraus resultierende realistische Einschätzung der Möglichkeiten, die uns bleiben, bildet die Grundlage für sinnvolles Engagement.

Akzeptanz wird häufig missverstanden. Akzeptanz heißt nicht, dass wir etwas gutheißen. Sie bedeutet auch nicht, dass wir nichts ändern wollen. Akzeptanz bedeutet anzuerkennen, dass etwas JETZT so ist, wie es ist. Zu dem, was JETZT ist, gehört oft auch der Wunsch, dass etwas anders werden möge. Wer nicht wahrhaben will und in diesem Sinne akzeptiert, dass die eigene Hütte brennt (obwohl es immer heißer wird und der Rauch schon durch die Ritzen quillt), für den kommt wahrscheinlich jede Hilfe zu spät.

Bei manchem verknotet sich an dieser Stelle das Gehirn. Tatsächlich sind wir für die Akzeptanz dessen, was wir eigentlich doch ablehnen, erst ab einer bestimmten Bewusstseinsstufe in der Lage. Wir brauchen dafür die Fähigkeit, „kognitive Dissonanz“ auszuhalten, d.h. innere und/oder äußere Widersprüche, die zunächst nicht aufzulösen sind.

Mit der Fähigkeit, kognitive Dissonanzen zu tolerieren, können wir sinnvoll handeln, auch wenn wir mal mutlos sind und Teile von uns keine Aussicht auf Erfolg sehen. Wer hätte für möglich gehalten, dass ein Mädchen mit einem einsamen Plakat eine weltweite Bewegung entfacht? Auf der Basis von Akzeptanz können wir anerkennen, dass die Mächtigen dieser Welt weit entfernt davon sind, die notwendigen Entscheidungen zu treffen. Wir nehmen zur Kenntnis, dass findige Lobbyisten die Krise für ihre Zwecke nutzen. Jeder von uns kennt wohl jemanden (mindestens in den sozialen Medien), der es einfach nicht wahrhaben will und Zweifel am Klimawandel säht, wo und wie er nur kann. Wir akzeptieren die Tatsache, dass dies so ist. Doch wir reiben uns daran nicht auf, gehen dennoch ohne Hass oder Verzweiflung oder zumindest nicht von ihnen getrieben auf die Straße, sondern weil wir unser dringendes Bedürfnis, dass sich etwas ändert, genauso anerkennen wie die Tatsache, dass es möglicherweise nicht in ausreichender Weise geschehen wird.

Eigennutz contra Gemeinnutz – die kognitive Grund-Dissonanz

Kognitive Dissonanz entsteht häufig durch den Konflikt zwischen dem, was wir uns für uns persönlich wünschen oder zum Überleben brauchen, und dem, was für die Gemeinschaft wichtig ist, deren Teil wir sind. Meist gibt es dabei eine Hierarchie der Bedürfnisse: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Erst mit zunehmender Reife (und wenn genug zum Überleben da ist) sind wir in der Lage, Eigen- und Gemeinschaftsinteresse auszubalancieren. Wir müssen keine der beiden Seiten verleugnen. Wir können anerkennen, dass es gut für das Klima wäre, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, wir aber heute zu bequem sind und daher ins Auto steigen.

Wir können trotzdem auf der Demo dafür eintreten, Individualverkehr einzuschränken und den ÖPNV auszubauen. Das ist zwar ein Widerspruch, aber der ist menschlich. Wir sind nicht die Verkörperung dessen, was wir für ideal halten und müssen dies auch nicht sein, um für unsere Ideale einzutreten.

Menschen, die diese Diskrepanz nicht aushalten, versuchen zwanghaft, andere der Doppelmoral zu überführen und zu diskreditieren, wenn sie nicht hundertprozentig das vorleben, was sie politisch fordern. Davon müssen wir uns nicht irritieren lassen.

Der Konflikt oder zumindest der Unterschied zwischen Eigen- und Gemeinschaftsnutzen ist eine Grundbedingung nicht nur des Menschseins, sondern des Lebens überhaupt. Leben ist weder immerwährender Konkurrenzkampf noch stets friedliche Symbiose, sondern immer beides. Wir hängen am Leben und wissen doch, dass wir sterben werden. Wir möchten am liebsten immer gewinnen, akzeptieren aber, dass auch Verlust zum Leben gehört. Viele Menschen haben im letzten Sommer auch emotional begriffen, dass gutes Wetter nicht steter Sonnenschein sein kann, sondern auch Regen unentbehrlich ist.

Zu all diesen Erkenntnissen gehört eine gewisse Reife. Je weiter wir uns entwickeln, desto mehr Mitgefühl können wir nicht nur uns selbst, sondern auch unseren Liebsten, unserem Land bis hin zur Menschheit und allem Leben auf diesem Planeten schenken.

Mit zunehmendem Bewusstsein werden wir die Differenz von individuellem Wunsch und kollektiver Wirklichkeit nicht auflösen, obwohl manche Pop-Spiritualität derartiges vorgaukelt. Wir können diese Differenz aber bewusster gestalten. Wir können anerkennen, dass wir jetzt etwas tun, das dem Klimawandel abträglich ist, uns aber dafür engagieren, dass wir es in Zukunft nicht mehr tun (müssen). Wir können im Supermarkt einkaufen und doch Konzepte entwickeln wie beispielsweise das der Solidarischen Landwirtschaft oder einer Gemeinwohl-Ökonomie, die individuellen und kollektiven Nutzen sinnvoll zusammenführt.

Pop-Spiritualität oder Reifung des Bewusstseins

Die in Deutschland nicht gerade kleine spirituelle Szene ist politisch und gesellschaftlich erstaunlich unsichtbar, auch in der Klimafrage. Manche Zeitgenossen – vielleicht schon im Zustand der Erleuchtung – scheinen zu glauben, dass auf ihrer Bewusstseinsebene politisches Engagement nicht mehr relevant sei, weil sie die vollständige Harmonie mit der Existenz als einen von äußeren Bedingungen völlig unabhängigen Bewusstseinszustand erkannt haben. Wozu kämpfen? Glückseligkeit ist das Ende von Kampf. Laut Maya-Kalender hätte die Welt schon 2012 untergehen sollen, jedes weitere Jahr ist so gesehen ein Geschenk. Das Beste, was wir tun können, ist gute Energie zu verbreiten. Lieber meditieren und Mantren singen als demonstrieren!

Zumindest der Dalai Lama ist nicht dieser Meinung und unterstützt Greta Thunberg in ihrem Engagement. Nichts gegen Mantren oder Meditation! Ich kenne und schätze den angesprochenen Bewusstseinszustand, mit allem, was ist, in Frieden zu sein. Es ist durchaus sinnvoll, sich nicht zu sehr auf Negatives zu fokussieren, sondern auch auf das Positive: „Be the change that you want to see in the world“.

Aber das ist nur die eine Seite. Ohne die andere Seite führt Spiritualität zu einer Verengung des Bewusstseins statt zu seiner Erweiterung. Wer nicht kraftvoll Nein sagen kann, kann auch nicht wirklich Ja sagen; wer keinen Standpunkt vertreten kann, wird sich auch nicht hingeben können. Auch hierfür brauchen wir die Fähigkeit, kognitive Dissonanz auszuhalten. Dann können wir einerseits in Frieden damit sein, dass sich die Menschheit auf dem Planeten Erde vielleicht selbst abschafft oder radikal dezimiert (und wer weiß schon, wofür das am Ende wieder gut sein könnte), und zugleich persönlich bevorzugen, dass die Lebensgrundlagen auf diesem wunderschönen Planeten noch lange erhalten bleiben und die Menschheit im Einklang mit sich und der Natur leben lernt.

Die Verneigung vor dem Tod

Doch auch das wird irgendwann ein Ende haben. Auch wenn unser Denken, Streben und Begehren linear ausgerichtet sein mag, das Leben und die Natur sind es auf Dauer nicht. Das Leben vollzieht sich in Zyklen. Ist es Zufall, dass mehrheitlich Männer Mühe haben, dies anzuerkennen? Liegt es gar in der männlichen Natur, sich nicht darum zu scheren, was nach der Ejakulation geschieht? Ich glaube nicht, aber das ist eine andere Geschichte, die ein anderes Mal erzählt werden soll.

Wir wissen nicht, was bleibt, wenn ein Zyklus zu Ende geht. Welche Rolle spielt das Bewusstsein, das menschlicher Existenz innewohnt? Wir Menschen haben die besondere Fähigkeit, dass wir uns unserer selbst bewusst werden können. Gibt es ein Bewusstsein, das über uns hinaus geht? Entwickelt sich Bewusstsein weiter, auch wenn wir sterben? Wir wissen es nicht und müssen es auch nicht wissen. Weisheitslehren unterschiedlichster Traditionen lehren vor allem diesen einen Zugang zur Ewigkeit: die Präsenz im Hier und Jetzt. Aus dieser Überzeugung resultiert auch der berühmte Satz „Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, ich würde heute noch einen Apfelbaum pflanzen!“. Er bekommt in unseren Tagen eine dramatische Aktualität.

Es ist die Verneigung vor dem, was größer ist als wir selbst, die unserem individuellen Sein einen angemessenen Maßstab verleiht. In den Sterbe-Phasen nach Kübler-Ross entspricht diese Haltung der Zustimmung zur Endlichkeit und zum eigenen Tod. Ist die Weigerung, für das Überleben derer zu sorgen, die nach uns kommen, ein unbewusster Protest gegen unser eigenes unvermeidliches Ende? In der Generation unserer Eltern hieß es oft: Ihr sollt es mal besser haben als wir. Dieser Wunsch scheint sich gerade ins Gegenteil zu verkehren.

Andererseits arbeiten Wissenschaftler längst an der Möglichkeit von Unsterblichkeit und machen dabei angeblich große Fortschritte. Andere behaupten, schon bald könne künstliche Intelligenz das Regiment übernehmen. Die Überwindung des Todes: Wäre dies Fluch oder Segen? Ehrlich gesagt, ich freue mich derzeit nicht auf meinen Tod; dennoch gruselt mich bei dem Gedanken an eine medizinische Option auf Unsterblichkeit .

Viele Ebenen, viele Perspektiven, alles verbunden

Damit schließt sich auch der Zyklus dieses Textes. Die beschriebenen Phasen und Reaktionsmuster, mit denen wir auf den Klimaschock reagieren, folgen nicht immer linear aufeinander. Oft pendeln wir hin und her oder bleiben für gewisse Zeit in einer Phase stecken. Auch kollektiv ist bisher keine klare Richtung erkennbar. Wir sind mit einer Verschiedenartigkeit und Ungleichzeitigkeit der Schockverarbeitung konfrontiert. Manchmal kommt es mir so vor, als landeten wir immer wieder auf Start: Das kann doch alles nicht wahr sein! Verdrängung oder Verleugnung bietet den besten Schutz vor dem Schock, doch zugleich die geringste Hilfe bei dessen Verarbeitung.

Ich kann und will kein Fazit ziehen, bin selbst mit all den Themen in Bewegung und das darf auch so sein. Ich finde aber zunehmende Klarheit, mit deren Hilfe ich differenzierter nach innen und außen schauen kann.

  • Ich spüre Schmerz beim Anblick der Naturzerstörung wie brennenden Regenwäldern oder sich ausbreitenden Wüsten.
  • Ich spüre Glück beim Wandern durch die Natur, wie sie in meiner Heimat noch reichlich sprießt.
  • Ich spüre Zorn über Politiker, die sich aus der Verantwortung stehlen und nur die nächste Wahl vor Augen zu haben scheinen.
  • Ich spüre Hoffnungslosigkeit, wenn ich mir vor Augen führe, in welchem Ausmaß unser Wirtschaftssystem von Wachstum abhängt, koste es, was es wolle.
  • Ich spüre Trauer, wenn ich an mich heranlasse, welche Krisen bereits die nächste Generation wahrscheinlich wird erleben müssen (wenn ich es nicht selbst noch erlebe).
  • Ich spüre Scham, wenn ich mir eingestehe, in welchem Ausmaß ich meiner eigenen Verantwortung ausgewichen bin und ausweiche.
  • Ich spüre Frieden in der Erkenntnis, dass nichts absolut gut oder schlecht ist, sondern unser Verstand diese Unterscheidung trifft. Ich muss mich nicht immer davon leiten lassen; es kann gut tun, den Raum jenseits davon zu betreten
  • Nicht zuletzt spüre ich Freude, wenn ich mich mit meiner Wahrheit und meiner ganz und gar subjektiven Erlebnisweise auf das Leben einlasse, mich für meine Wünsche und Ziele einsetze, zugleich aber auch die Achtung für andere Menschen und Lebewesen spüre und die Zugehörigkeit zu dem, was größer ist als ich.

Im Dasein verwurzelt

Ich bin kein Klimaforscher, kein Umweltpolitiker und auch kein Hellseher. Doch sowohl als Mensch als auch als Therapeut und Seminarleiter gehen mich diese Themen etwas an. Die Vielfalt an Ebenen und Perspektiven und ihre wechselseitige Verbundenheit wahrzunehmen, ist für mich einer der Kernaspekte, die meine Arbeit prägt. Ich nenne sie tantrisch inspirierte Kunst des Seins. Tantra wird häufig als Sexualpraktik oder erotische Massage missverstanden. Als ganzheitliche Lebensphilosophie hätte Tantra unserer Gesellschaft viel zu geben, gerade auch was das Verständnis dessen angeht, wer wir sind, was uns im Innersten bewegt und vor allem, was uns alle miteiander verbindet, ob wir das nun wahrnehmen (wollen) oder nicht.

Unsere westliche Kultur geht davon aus, etwas zu tun sei wichtiger als da zu sein: „Von nichts kommt nichts“. Ich halte das für einen folgenschweren Irrtum, ähnlich dem, dass Technik intelligenter und effizienter sei als die Natur. Aus dieser Überzeugung resultiert Stress – auf allen Ebenen. Sie ist im wörtlichen Sinne lebensfern.

Nicht zuletzt im Tantra habe ich Wege kennengelernt, wie wir zur inneren Natur zurückfinden können. Der wichtigste besteht darin, dem Sein wieder Vorrang zu geben vor dem Tun (und das beileibe nicht nur im Sex): „Sitting silently, doing nothing, spring comes and the gras grows by itself.” Handeln ist immer eine Option, oft eine sehr wichtige. Doch ohne in unserem Dasein verwurzelt zu sein, geraten wir ins Hamsterrad und verlieren unseren Grund und Boden. Analog dazu sind wir gerade dabei, unsere Erde als verlässliche Lebensgrundlage zu verwüsten.

Das pure Dasein gibt mir Kraft, trotz aller Dramatik nichts tun zu müssen, mich nicht in Aktionismus zu verlieren. Aber ich kann und ich will etwas tun. Es beflügelt mich, mich als Mitglied dieser Gesellschaft und als Bewohner dieses Planeten für das zu engagieren, was mir am Herzen liegt. Wir leben immer nur hier und jetzt und doch erfüllt es mich mit Sinn, mich für die Zukunft zu engagieren, und zwar nicht nur meine eigene, sondern auch für die, die nach uns kommen.

Ich freue mich über jede und jeden, der oder dem ich mich in diesen Anliegen verbunden fühle. Wenn du es tatsächlich bis hierhin geschafft hast: Danke für deine Aufmerksamkeit!

Zum Thema Klimakrise habe ich ein Videogespräch mit Adriana Feldhege geführt, du findest es auf YouTube.

Links zur Vertiefung

1.    Zum Stand der Wissenschaft

2.    Das Versagen der Politik in Sachen Klimaschutz

3.    Klimawandel-Skepsis und Antworten darauf

4.    Das Ende der Freiheit?

5.    Klimawandel und Moral

6.    Klimakrise und Wirtschaft. Die Grenzen des Wachstums und was kommt danach?

7.    Die psychische Dimension der Klimakatastrophe

8.    Möglichkeiten für Engagement

Gerne kannst du gleich hier unten einen Kommentar schreiben.

Über Saleem Matthias Riek

Saleem Matthias Riek ist Heilpraktiker mit dem Schwerpunkt Paar- und Sexualtherapie, Tantralehrer, Diplom-Sozialpädagoge und lebt bei Freiburg im Breisgau. Saleem ist Autor mehrerer Bücher rund um Lust und Liebe, Tantra und Spiritualität. Bisher erschienen sind "Herzenslust" (auch als Hörbuch), "Leben, Lieben und Nicht Wissen", "Herzensfeuer", "Lustvoll Mann sein" und "Mysterien des Lebens". Weitere Bücher sind in Vorbereitung, u.a. eine Romantrilogie.
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29 Antworten zu Im Klimaschock

  1. Danke für den Beitrag, auch wenn ich eine andere, vielleicht wurschtigere Position dazu habe, insofern ich mehr auf das Praktische orientiert bin. Für mich geht es vorrangig darum, das eigene Verhalten als Erwachsener zu verändern – tun, was zu tun ist – ohne Schuldzuweisung größerer Art. Diese ist eine Ablenkung. Und auch argumentativ und wenn möglich durch Beispiel auf Andere einzuwirken. Denn wir tun, was wir tun, als Variation dessen, was die Leute, die wir kennen, tun.
    Und ja, ich verbrate auch zu viel Energie an einigen Punkten.
    Besonders gefällt mir der Punkt mit dem „Dissonanz aushalten“ und dabei präsent und handlungsfähig und -willig bleiben und die lange Linkliste.

  2. Hallo Saleem,
    ich bin maximal begeistert von deinem Blogtext, den ich heute morgen gelesen und gleich, schon während des Lesens, an andere weitergeleitet habe. Nun steht der Link dorthin auch in meinem Blog auf connection.de.
    Die vielen Links habe ich noch nicht angeklickt, das könnte mich leicht einen Tag lang beschäftigt halten und noch tiefer erschüttern … ein Erschütterungskünstler müsste man sein, statt Empörter und Empörer 😇
    Ich kann mich nicht erinnern, je einen so guten, tiefgründigen Artikel über dieses Thema („Klimaschock“) gelesen zu haben, der zugleich den Innenaspekt (Wie gehen wir psychisch damit um?) und den Außenaspekt (Was können wir tun?) beleuchtet. Und was die Passagen über den Umgang mit Wissenschaft, Schuld, Schmerz, Verdrängung anbelangt, steht er geradezu für das menschliche Dilemma an sich, die condition humaine, die uns tragikomische Gestalten immer an der Grenze zwischen „Was können wir denn tun“ und „Was können wir erkennen“ entlang stolpern lässt. Wobei es unvermeidlich nie genug ist, was wir wissen müssten, um etwas zu tun, andererseits müssen wir erst etwas tun, um überhaupt das Nötigste wissen zu können.
    Trotzdem bietet dein Text auch Handlungsanweisung und Anleitung (guidance) in der Innenschau – und sogar ‚Handlungsmystik‘, womit ich eine Ethik des erleuchteten Aktivismus meine.

    Mit kollegialem Gruß
    Sugata

  3. Pea Krämer sagt:

    der Beitrag wurde mir von Sugata „ans Herz gelegt“. Nachdem ich ihn gerade gelesen habe, bin ich ähnlich begeistert wie er. Hervorragende Analogie zu Kübler–Ross Sterbephasen. Bravo!

  4. Sabinja sagt:

    Lieber Saleem, deine Texte sind eine der wenigen, die ich immer komplett durchlese. Wie schaffst du das immer nur alles so zu ordnen und zu strukturieren, in die Breite und in die Tiefe zu gehen und dann auch noch mit den passenden Bildern zu untermalen. Wie lange hast du daran gearbeitet? Wie schaffst du das noch so nebenbei?
    Vielen lieben Dank für diese Mühe. Mir ist nun vieles viel klarer geworden, wie ich selber reagiere und meine Mitmenschen. Ich spüre diesen Schmerz, wie wir mit unserem Planeten umgehen, schon sehr lange und fühle mich dem oft hilflos ausgeliefert. Und deshalb bin ich sehr dankbar, dass es Menschen wie dich gibt, die genauer hinschauen, analysieren, ordnen und versuchen Erklärungen zu finden für unser Verhalten und Lösungen für die Probleme. Und ich bin sehr dankbar dafür dich kennen und erleben zu dürfen und von dir zu lernen. Und über dich so viele andere Menschen kennen zu lernen, die genauso auf dem Weg sind sich selber mehr zu spüren und zu lieben und damit auch die Natur. Ich bin zutiefst dankbar dafür mit all dem verbunden zu sein. Sabinja

  5. Lieber Saleem
    Eine so gute Forschung in dieses Thema hinein. Sehr gut „die kognitive Dissonanz aushalten.“ Das hat mir geholfen. Deine 7 Punkte „Ich spüre Schmerz…“ gleich ausgedruckt und verbreitet. Danke

  6. Reto Bossi sagt:

    Lieber Saleem
    Mir gefällt der Ansatz Deiner Forschung. Danke für Deine Arbeit und Dein Mitteilen.
    Lieber Gruss
    Reto

  7. Corinna sagt:

    Lieber Saleem,
    vielen Dank für diesen klaren, ehrlichen Text! Ich finde, dass Du ein sehr komplexes Thema mit einem ziemlich umfassenden Rundumschlag sehr präzise und im Verhältnis zu seiner Komplexität kurz und knackig auf den Punkt bringst. Die Zeit und das Herzblut, die darin stecken, kann ich in etwa erahnen. Ich möchte Deinen Quellenangaben und Link-Hinweisen eine Buch-Empfehlung hinzufügen, die ich darin nicht gefunden habe (vielleicht habe ich sie auch übersehen): Charles Eisenstein, „Die schönere Welt, die unser Herz kennt, ist möglich.“ Mir ist dieses Buch ein wahrer Anker in den Phasen, wo mich der Schmerz über die Ausbeutung und Zerstörung allen Lebens in und auf Mutter Erde hinwegzuspülen droht. Weil Eisenstein zum einen ermutigt, in das von Dir ebenso genannte ehrliche Fühlen zu kommen als wichtige Voraussetzung für einen Wandel. Und weil er mir zum anderen hilft, mir und uns als Kollektiv immer wieder auf die Schliche zu kommen, wo wir glauben, etwas Sinnvolles zum Wandel beizutragen, letztendlich aber wieder nur die alte Geschichte des „Getrenntseins“ füttern, anstatt zur „neuen“ Geschichte des „Allverbundenseins“ beizutragen, sie zu nähren und zu stärken.
    Danke Dir von Herzen!
    Corinna

  8. Walter Springmann sagt:

    Lieber Saleem,
    Vielen herzlichen Dank für deine wunderbare Zusammenfassung der Situation und der Analyse in so vielen Dimensionen.

  9. Steffi Kuhnke sagt:

    Hallo, ich möchte einfach nur DANKE sagen….was dein Beitrag innerlich in mir bewirkt, kann ich fühlen, was sich dadurch außerhalb entwickelt, wird sich zeigen. Danke, dass es Menschen gibt und ganz speziell dich , die die Gabe haben so weit und integral Themen zu erörtern. Alles Gute dir und deiner Familie.

  10. Elmar sagt:

    Lieber Saleem,

    auch mich hat dein Beitrag berührt und erfreut. Er bringt Klarheit und Ehrlichkeit in viele Facetten unseres Umgangs mit der Klimakrise.

    Ich bin seit Jahren auf der Suche nach dem „I have a dream“ der Klimaschutzbewegung (deren Grundmotiv lautet „I have a nightmare“). Auf der Suche bleibe ich – aber ich nehme nun mit, dass wir dabei nicht verleugnen sollten, dass Gemeinwohl und subjektives Ego-Bedürfnis einfach nicht immer gleich sind.

    Und: Deine Linkliste am Schluss ist beeindruckend und hilfreich – auch für jemand, der seit vielen Jahren in diesem Themenfeld arbeitet.

  11. Ulf Zibis sagt:

    Lieber Saleem,
    Du schreibst: „Meines Wissens nach hat kein Land der Erde bisher Steuern und Abgaben in nennenswerter Weise erhöht, um den Klimaschutz voranzubringen.“
    Darf ich Dein Wissen ergänzen? :
    https://www.tagesschau.de/ausland/weltspiegel-schweden-cozwei-101.html
    Die Motivation dahinter dürfte in den 90er Jahren aber weniger der Klimaschutz gewesen sein, als die Subventionierung der Arbeitsplätze in der schwedischen Holzwirtschaft, genauso wie man es hierzulande in Sachen Steinkohle jahrzehntelang betrieben hat.

    Weiterhin: „Die USA unter Trump sind offiziell aus dem Abkommen ausgestiegen. Ausgerechnet Trump als einsames Bollwerk gegen eine Welt im Bann der Lüge?“
    Was willst Du mit dem 2. Satz sagen? Wenn Leugner des menschgemachten Klimawandels durch CO2 Lügner sind, passt Trumps Reaktion doch perfekt in sein Selbstbild, Bollwerk gegen Lügen zu sein.
    Zum 1. Satz: Die USA waren auch vor Trump alles andere als engagiert in Sachen Klimaschutz, obwohl sie Betreiber und Haupt-Finanzier des IPCC waren. Warum wohl?
    Erst ganz spät sind sie halbherzig in Klimaabkommen eingestiegen, und das einzige was sie hervorgebracht haben, ist der Prestige-Schlitten Tesla. Ansonsten verbrauchten sie in der Friedensnobelpreis- und Klimaschutzära von Obama mehr Erdöl denn je für ihre Kriegsmaschinerie, um die Ölförderländer unter Kontrolle zu behalten.

    • Ulf Zibis sagt:

      Oh hoppla, da ist mir zu vorgerückter Stunde doch ein Lapsus passiert, den ich korrigieren möchte:
      Wenn _Vertreter_ des menschgemachten Klimawandels durch CO2 in Trumps Augen Lügner sind, passt seine Reaktion doch perfekt in sein Selbstbild, Bollwerk gegen Lügen zu sein.

    • Elmar sagt:

      Auch die Schweiz hat eine mittlerweile recht hohe CO2-Abgabe (aktuell 96 Franken pro Tonne CO2 – also >85 Euro!, siehe https://www.bafu.admin.ch/co2-abgabe). Sie zielt darauf ab, den CO2-Ausstoss zu senken (und ist darin auch teilweise erfolgreich). Sie betrifft allerdings nicht die Mobilität (gilt also nicht für Treibstoffe) – aber besser als nichts. Mit dem neuen CO2-Gesetz soll diese Abgabe auf bis zu 210 Franken pro Tonne steigen. Das alles ist ein guter Schritt – aber es fehlen noch viele ergänzende, damit die Schweiz klimaverträglich würde.

      • Ulf Zibis sagt:

        Hallo Elmar,
        jetzt würde mich aber interessieren, womit denn die Schweizer ihren Energiebedarf ersatzweise decken.
        Also womit z.B betreiben sie ihre Industrie, ihre Baumaschinen oder heizen sie ihre Häuser, wenn sie auf Öl und Kohle verzichten, sie werden ja nicht im Kalten sitzen wollen.

        Was die Elektroautos angeht: Allein das Herstellen des Akkus für ein Elektroauto verbraucht soviel CO2 wie ein herkömmliches Auto für 80.000 km, nur halt in China, statt in der Schweiz. Ist das klimaneutral? Der Akku eines Elektroautos hält ja noch nicht mal diese 80.000 km, dann braucht es wieder einen neuen. Und den zusätzlichen Strom, den man für die Elektroautos braucht … wo soll denn der überhaupt herkommen? Außerdem werden die Verbrauchswerte von E-Autos ohne Heizung gerechnet. Im Winter brauchen sie dann doppelt so viel Strom. Schon in den 90er Jahren meinte GreenPeace, wir könnten das Erdöl durch Biodiesel langfristig ersetzen. Genauso eine Milchmädchenrechnung, denn für die dafür nötigen Rapsfelder bräuchte man eine Fläche größer als Deutschland.

        Das einzige, was also helfen würde, wäre massiv Energie einsparen, z.B. durch Senkung der Wirtschaftsleistung statt Wachstum.

        @Saleem: Magst Du bitte erläutern, was Du mit der Bemerkung über Trump zum Ausdruck bringen wolltest?

  12. Markus Koch sagt:

    Lieber Saleem,

    auch ich bin sehr angetan und in mich zurückgeworfen durch Deinen tiefgründigen Text. Eine Kleinigkeit ist bei mir in besondere Resonanz gegangen.

    Es ist die nicht beschriebene Wut auf die nahen Menschen um uns, unsere Familie, Freunde, Kollegen usw., auf die, die die Masse zwischen den Polen Politker-Zorn und Selbst-Scham bilden, und die als Masse diese Todesmaschinerie am Leben halten. Ich zumindest kann sie gerade ganz zart spüren. Zudem wird mir klar, dass diese Wut schon länger da ist, weil durch die Verletzungen der Natur (und auch meines Wesens), auch die, die mir vorgelebt und praktiziert wurden und werden, ich nun selbst auch darunter leide.

    Diese Wut einmal (zweimal, zu passendem Zeitpunkt?!) richtig zu artikulieren und dann zu transformieren mag ein Weg sein, die globale(Natur/mütterliche) oder auch kollektive (Menschheit/väterliche) „Vergebung“ sowohl zu erfahren als auch zu leben, um anschließend in erwacht liebevolles Handeln zu kommen – jederzeit.

    „Ey, es ist auch mein Haus, und das meiner Kinder, das Du da gerade vergiftest und verdreckst. Wäre also nett, wenn Du zukünftig achtsamer in unserer WG haust!“

    Dankbare Grüße

    Markus

  13. Gudrun sagt:

    Danke für das Thematisieren dieser vielschichtigen Dynamik rund um das gefährdete Leben auf unserem Planeten!
    Die „Spielregeln“, die unser selbstverständliches, bequemes Leben absichern (und es letztendlich existentiell bedrohen), sind in unseren Breiten so etabliert und quasi Systemgrundlage, dass es an ein Wunder grenzt, wenn es gelingt, diese gewaltfrei zu verändern. Und es bleibt uns nur, diese friedliche Veränderung zu wollen, zu praktizieren, dafür auf- und einzutreten. Auch wenn wir das Ziel vielleicht nie erreichen.

    Vor Jahren entstand aus der tiefen Betroffenheit über diese in-Fleisch-und Blut-übergegangene wirtschaftliche Grundhaltung folgender Text, der mir jetzt beim Abschnitt vom Goldenen Kalb wieder in den Sinn kam:

    Heiliges Wirtschaftswachstum
    wir bitten dich
    bleib bei uns
    verschone uns vor Rezession, Arbeitslosigkeit und Stillstand
    wir preisen dich
    denn du sorgst für uns –
    für unseren Wohlstand, unseren Überfluss, unsere Sorglosigkeit
    wir glauben an dich
    in der Dreieinigkeit mit Produktionssteigerung und Kaufkraftzuwachs
    wir versprechen dir
    dafür zu sorgen
    dass der Konsum nicht nachlässt
    selbst wenn alle mehr haben, als sie jemals brauchen können
    wir widersagen
    allen kritischen Zeitgeistern
    allen Alternativen zum Bestehenden
    allen Ansätzen der Genügsamkeit, der Solidarität und der Sorge um die Schwächeren
    wir opfern dir alles:
    unser Mitgefühl für das Schwache und Kleine
    wert-volle Plätze zum Leben und Arbeiten
    und nach und nach unsere gesamten Lebensgrundlagen
    wie sauberes Wasser, frische Luft, klimaregulierende Regenwälder,..
    wir geloben dir
    weiterhin
    die Gewinne/r zu bejubeln,
    den Reichtum zu verherrlichen
    die Sozialleistungen zu kürzen
    und den Wettbewerb hoch zu halten
    wir flehen zu dir
    bitte, bleib bei uns
    und bewahre uns vor der Erkenntnis
    dass es so nicht weitergeht

    • Ulf Zibis sagt:

      Hey Gudrun, das ist ja ein tolles Gedicht, trifft’s auf den Punkt.
      Besonders gefällt mir, dass es auf die eigentliche Ursache der Klimaturbolenzen hinweist, das Abholzen der Wälder für Bio-Sprit, Elektro-Rohstoffe und Fleisch.
      In den letzten 100 Jahren ist bestimmt ein Drittel der Regenwälder verschwunden und hierzulande versiegelt man auch fleißig weiter, klar dass dann der CO2-Anteil der Luft ebenfalls um ein Drittel gestiegen ist.
      Glücklicherweise nützt es immerhin den verbliebenen Wäldern, die wachsen dann schneller. Pflanzen mögen CO2 sehr. Auch Gärtnereien nutzen das, indem sie zusätzliches CO2 in ihre Treibhäuser blasen.

      Es weist auch auf den 2. wichtigen Punkt hin, unsere Turbo-Wirtschaft zur Aufrechterhaltung des Turbo-Finanzsystems. Das wird bald kollabieren, noch weit vor dem Klima, und dann haben wir Zustände wie 1929, Unruhen oder gar Kriege können die Folge sein, und dann schert sich niemand mehr um Naturschutz und CO2. Schön, wenn das Greta und die Freitagskinder anprangern würden, dann könnte sich das Klima von selber heilen.

  14. Karl sagt:

    Sind wir mal wieder drauf reingefallen?Man hat die Menschen wieder einmal getäuscht,und versucht sie gegenander aus zuspielen.
    wäre gut mal bei sich selbst anzufangen bei sich im kleinem Kreis und sich nicht immer auf die anderen zuverlassen auch mal zuhinder Fragen ist mein Handeln richtig.mal reinschauen was für ein interesse da hinter steckt.Die verbände etc…….
    noch zum abschluss Saleem hat sich richtig mühe gemacht aber es gibt auch noch andere Menschen wo wissenschaftlich unabh.sind keine Geld von den Reg.bekommen.
    Und als Klimaleugner von verschieden Gruppen und Menschen die keine Ahnung haben Beschipft werden.
    Es wäre mal an der Zeit gegen den schleicheten faschismus auf die Straße zugehen und die Naturrechte und Tier und Menschenrechte ein zuvordern.
    Achtsamkeit ein richtiges Wir zusammen zuleben.
    Ich habe Saleems Bücher gelesen und sie sind gut.
    Auch wenn jetzt ein paar von euch nicht ganz einverstanden mit dem Text sind eine freie meinung haben wir alle begebrat bekommen?
    Lieb das Leben und hängt nicht drann sonst werden wir drann aufgehängt.
    Herzens Grüße
    Karl

  15. Franziska Brockdorff sagt:

    Lieber Saleem,
    vielen Dank für Deine Mühe, für den ausführlichen Artikel und die vielen Links, die Du zusammengestellt hast. Beides ist für mich sehr hilfreich! Der Beitrag hat mich nachdenklich gemacht, mir nochmal mehr die Augen geöffnet, mich auch ermutigt, und am wichtigsten ist daran für mich, dass Du wirklich in die Tiefe gehst, Paradoxien benennst, und nicht in einer eindimensionalen Perspektive verharrst. Ich habe erst ein paar von den vielen Links gelesen, v.a. Jonathan Safran Foer „Wir sind das Klima“ hat mich bewegt, sehr dicht, müsste ich eigentlich gleich nochmal lesen, aber hat schon einiges in mir angestoßen…
    Herzliche Grüße, Franziska

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