Wege aus der Männlichkeitsfalle

Sind es vor allem Männer, die das Leben der Menschheit auf dem wunderbaren Planeten Erde gefährden? Und wenn ja, welche Konsequenzen ergeben sich daraus? Sind die Männer – und mittelbar unser Überleben als menschliche Spezies – noch zu retten?
Es sieht nicht gut aus.

Zugegeben, es ist etwas plump, die massiven Probleme, mit denen wir es heute zu tun haben – von A wie Artensterben bis Z wie Zerstörung unserer Lebensgrundlagen – allein der Geschlechtszugehörigkeit der Reichen und Mächtigen dieser Welt zuzuschreiben. Und doch ist etwas dran an der These, dass sich oft insbesondere Männer so weit von sich selbst und unseren natürlichen Lebensgrundlagen entfremdet haben, dass sie die Welt an den Abgrund führen – und vielleicht bald darüber hinaus.

Was stimmt nicht mit der Männlichkeit?

Mir persönlich dämmerte es schon in meiner Pubertät, dass mit der verbreiteten Vorstellung von Männlichkeit fundamental etwas nicht stimmt. Sie erschien mir wie eine Falle, die mich in meiner Lebendigkeit arg einschränkt. Die Auseinandersetzung damit prägte einen großen Teil meines Lebens und war bereits Thema meiner Diplomarbeit. Die Forschungsarbeit zum Thema Männer wollte ich schon vor 40 Jahren veröffentlichen. Damals hat es leider nicht geklappt, obwohl vielfach großes Interesse geäußert wurde und mancher Männerbewegte sich mein Manuskript unter den Nagel gerissen und sich eine Kopie hat machen lassen …

Nun ist es soweit: Das Buch ist sowohl als Taschenbuch als auch als E-Book in jeder Buchhandlung – offline oder online – bestellbar.

Ist diese Arbeit nicht Schnee von gestern? Einerseits Ja … und allein schon deswegen interessant. Wenn heute über Themen rund ums Mannsein, um Machtstrukturen und Perspektiven der Veränderung „toxischer Männlichkeit“ gesprochen wird – sei es anläßlich von #metoo, Gendern oder des „Orgasm Gap“ – sind sich viele nicht bewusst, welche Geschichte dieser Diskurs auch unter Männern bereits hat.

Andererseits Nein. Manche der Überlegungen, die ich damals angestellt habe, sind auch heute noch aktuell und bedenkenswert, auch wenn die Sprache, mit der ich damals unterwegs war – eine wilde Mischung von Szenejargon und wissenschaftlichem Anspruch – mich auf amüsante Weise daran erinnert, wie ich und manche andere damals drauf waren.

Mehr zu den Gründen, das Buch doch noch herauszugeben, in folgendem Vorwort, das ich im Buch dem Originaltext vorangestellt habe.

Vorwort zu „Emanzipatorische Männergruppen in der Sozialen Arbeit“

Emanzipatorische Männergruppen? Die Wortwahl klingt etwas verstaubt. Das ist kein Wunder, denn bei dem vorliegenden Werk handelt sich um meine Diplomarbeit an der Berliner Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (damals FHSS, heue Alice Salomon Hochschule), die ich im Jahr 1983 eingereicht habe.

Heißt das, die Ausführungen von damals haben heute kaum noch Relevanz? Möglicherweise mehr, als es zunächst den Anschein hat.

Es gab damals eine bunte Szene von Männern, die sich euphemistisch als ‚“Männerbewegung“ verstanden, allerdings nicht ohne diesen Begriff in selbstkritischer Reflektion auch gleich wieder zu problematisieren. Vieles aus dieser Szene kommt im Text – oft im Originalton – zum Ausdruck und er ist insofern ein spannendes Zeitdokument. Mich bringt allein schon die Sprache von damals immer wieder zum Schmunzeln.

War die Männer-Szene ein Pendent zur Frauenbewegung? Sicher nicht. Dennoch gab es vielfältige Aktivitäten von Männern, die sich zusammen mit anderen Männern mit Fragen des Mann-Seins und ihrer Männlichkeit auseinandergesetzt haben. Manche sahen sich als „profeministische“ männliche Avantgarde, andere wollten sich von ihrer heteronormativen Sexualität befreien, obwohl sie diesen Begriff noch gar nicht kannten, wieder andere wollten endlich die Schattenseiten des Mann-Seins thematisiert sehen, die ihnen selbst und ihren Mitmenschen übel mitspielen.

Damals war das Thema „Männer“ noch weitgehend ein Nischenthema. Heute ist es einerseits im Mainstream angekommen, andererseits kann sich bei der Lektüre dieser Diplomarbeit der Verdacht einschleichen, dass sich fundamental seither wenig verändert hat. Eine Bundeskanzlerin war damals Zukunftsmusik, genauso wie offen schwule Bundesminister oder die Vorschrift, Stellenanzeigen auch für Angehörige eines „diversen“ Geschlechts auszuschreiben.

Haben sich die „Herrschaftsverhältnisse“ zwischen Männern und Frauen in den letzten 40 Jahren grundlegend gewandelt? Die Einschätzungen über die Bedeutung des Geschlechts in politischen Fragen variieren heute womöglich noch stärker als damals. Grundlegende Fragestellungen sind – auch wenn sich die Wortwahl geändert hat – oft noch die gleichen.

Alles nur Nabelschau oder echte Veränderung?

Im Mittelpunkt meiner Diplomarbeit stand die Frage, ob Männergruppen emanzipatorisch wirken können bzw. wann sie emanzipatorisch zu nennen wären und wann nicht. Die Fragestellung klingt heute antiquiert, ja fast peinlich. Nicht unbedingt deshalb, weil es selbstverständlich geworden wäre, dass Männer sich über persönliche Angelegenheiten austauchen. Nein, ganz im Gegenteil unterliegen Männergruppen immer noch dem Verdacht, dass dort belanglose Nabelschau betrieben wird und normale Männer so etwas nicht nötig haben.

Peinlich klingt diese Fragestellung in meinen Ohren eher deshalb, weil der optimistische Glaube an Fortschritt durch Emanzipation aller gesellschaftlich diskriminierten Gruppen – damals noch ein Relikt des Aufbruchs in den 68er Jahren – längst einer pessimistischeren Weltsicht gewichten ist: Wird die Menschheit sich vor den Folgen und Konsequenzen ihres zerstörerischen Verhaltens noch retten können?

Noch immer wird prominent die These vertreten, dass vor allem Männer für die Desaster der menschlichen Zivilisation verantwortlich sind. Doch der Handlungsdruck durch sich verschärfende Krisen planetaren Ausmaßes – vom Artensterben über die Klimakatastrophe bis zum drohenden Atomkrieg – lässt die Frage einer gendergerechten Betrachtungsweise als Luxusproblem erscheinen.

„Das Private ist politisch“ war seinerzeit ein beliebter Slogan und eine wesentliche Erkenntnis fortschrittlicher Gruppierungen, die auch dem nachfolgenden Text als Subtext zugrunde liegt. Doch der Optimismus, dass persönliche Bewusstseinserweiterung sich automatisch in gesellschaftlichem Wandel hin zu mehr Gleichberechtigung, Menschlichkeit und Respekt vor unseren natürlichen Lebensgrundlagen niederschlägt, diesen Optimismus teile ich heute nicht mehr. Und das, obwohl meine berufliche Tätigkeit seit damals Ausdruck dieses einen Wunsches war und ist: dass wir uns persönlich weiterentwickeln und damit nicht nur uns selbst, sondern auch der Welt, in der wir leben, einen wichtigen Dienst erweisen.

Mein feministisches Über-Ich

Wenn ich heute meine Zeilen von damals lese, fällt mir nicht zuletzt ein feministisches Über-Ich auf, das mich viele Jahre geprägt hat. Ich war mir sicher, dass wir Männer, die wir über Jahrtausende die Welt beherrscht haben, die wesentliche Verantwortung dafür tragen, was alles schief läuft auf dem Planeten Erde. Meine naheliegende Antwort darauf war: Mann, konfrontiere dich mit dir selbst! Worunter du die Welt leiden lässt, darunter leidest du auch selbst. Lerne das wahrzunehmen und zu fühlen! Lass endlich die Frauen in Ruhe und kümmere dich um dich selbst!

Diese in Ansätzen missionarische bis ideologische Haltung gegenüber meinem eigenen Geschlecht hat ihre Dominanz über mein Denken und Handeln weitgehend verloren. Heute sehe ich das deutlich differenzierter, wie es auch in meinen späteren Büchern, nicht zuletzt in „Lustvoll Mannsein“ zum Ausdruck kommt.

Die deutlichste Konsequenz dieser Entideologisierung: Ich sehe den Austausch unter Männern immer noch als eine hervorragende Möglichkeit der persönlichen Weiterentwicklung an. Doch ich würde sie nicht mehr der gemeinsamen Weiterentwicklung von Frauen und Männern vorziehen. Wir alle, Frauen und Männer und je nach Betrachtungsweise auch weitere Geschlechter, stehen in Verantwortung für uns selbst, füreinander und für die Welt, in der wir leben. Mögen wir uns dieser Verantwortung stellen, jede und jeder auf seine Weise.

Einladung zu einer Zeitreise

Dieses Buch vierzig Jahre nach seiner Entstehung zu veröffentlichen, bedeutet nicht, dass ich meine damals vertretenen Thesen durchweg für zeitgemäß halte. Das sind sie höchstens teilweise. Doch der Blick zurück schärft manchmal den Blick auf das heutige Zeitgeschehen und den Blick nach vorne. Dieses Buch ist die Einladung zu einer Zeitreise. Manches, was heute gendermäßig für hochaktuell gehalten wird, wurde schon damals heiß diskutiert, als den Begriff Gender hierzulande kaum jemand kannte. Anderes, was damals als undenkbar galt, ist heute selbstverständlich. Manches kommt uns heute seltsam vor, manches zum Fremdschämen, wieder anderes rührend, und einiges vielleicht auch inspirierend, gerade weil es nicht taufrisch und doch hochaktuell ist.

Ich wünsche eine genussvolle und erkenntnisreiche Reise zurück in eine Zeit, in der die Beschäftigung mit Männlichkeit Wurzeln geschlagen hat, die bis heute vielfältige Blüten hervorbringen.

Wenn dich das Thema anspricht, kannst du gerne einen Kommentare dazu schreiben, gleich hier unten oder per E-Mail.

Herzliche Grüße

Saleem


Saleem Matthias Riek: Emanzipatorische Männergruppen in der Sozialen Arbeit.
BoD Oktober 2022 * Broschur 190 Seiten 9,95 € * ISBN 9783756844746
E-Book im epub Format * 4,99 € * ISBN 9783756867226
Sonderpreis 1,99 € in der ersten 8 Wochen nach Erscheinen
Das Buch ist in jeder guten Buchhandlung online und offline bestellbar.

Über Saleem Matthias Riek

Saleem Matthias Riek ist Heilpraktiker mit dem Schwerpunkt Paar- und Sexualtherapie, Tantralehrer, Diplom-Sozialpädagoge und lebt bei Freiburg im Breisgau. Saleem ist Autor mehrerer Bücher rund um Lust und Liebe, Tantra und Spiritualität. Bisher erschienen sind "Herzenslust" (auch als Hörbuch), "Leben, Lieben und Nicht Wissen", "Herzensfeuer", "Lustvoll Mann sein" und "Mysterien des Lebens". Weitere Bücher sind in Vorbereitung, u.a. eine Romantrilogie.
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1 Antwort zu Wege aus der Männlichkeitsfalle

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