Was unterscheidet Männer und Frauen? Ein unerschöpfliches Thema. Und woher stammen die Unterschiede? Ist es die Biologie, ist es die Erziehung, ist es die kulturelle Prägung, die uns zum Mann bzw. zu Frau macht?
Das Buch Lustvoll Mann sein ist nun seit einigen Wochen auf dem Markt und erfreut sich wachsender Beliebtheit, vor allem, weil es in Stil und Inhalt ganz andere Wege geht als sogenannte Ratgeberbücher. Natürlich möchte ich, dass dieses Buch auch außerhalb der tantrischen Nische wahrgenommen wird. Es ist nämlich kein Tantrabuch, auch wenn einige der 15 Männer, die sich in dem Buch sehr intim äußern, Erfahrungen mit Tantra gemacht haben, übrigens in ganz verschiedenen Schulen. Ich nahm meinen Mut zusammen und kontaktierte Expertinnen und Experten auf dem Gebiet der Sexualforschung, der Geschlechterforschung und der gesellschaftlichen Debatte zum Thema Mann und Frau.
Dabei begegnen mir spannende Phänomene, die sich grob in zwei Richtungen unterteilen lassen:
- Da gibt es einerseits den Versuch, der echten, wahren und ursprünglichen Männlichkeit bzw. Weiblichkeit auf die Spur zu kommen und ihr endlich wieder Geltung zu verschaffen. Der Subtext heißt: Männer sind anders, Frauen auch, und wenn wir das endlich begreifen und beide Pole mit gleicher Wertschätzung anerkennen, wird alles gut. Die konkreten Ausprägungen dieser Richtung sind sehr unterschiedlich, Frauen suchen z.B. die Rückverbindung mit Göttinnen wie Ishtar, Inanna oder Isis, Männer greifen zum Boxhandschuh und entdecken ihre archaische Männlichkeit in Fausthieben, diesmal allerdings mit Herz: Sie entdecken den inneren Herzenskrieger.
- Die andere Richtung sucht ihr Heil in genau der entgegengesetzten Richtung: Männer und Frauen sind gar nicht so unterschiedlich, sie sind insgeheim viel ähnlicher als gedacht, sie polarisieren sich nur in Rollenfixierungen, die längst überholt sind. Der Ausweg: Männer entdecken ihre weiblichen Anteile, Frauen übernehmen Führung und überlassen Männern in Punkto gesellschaftlicher Macht nicht mehr das Feld. Sie stehen gewissermaßen ihren Mann, wobei aus dieser Sicht Führungsqualitäten eben genau nicht männlich sind, sondern eine Option des Menschseins, die Männern wie Frauen offen steht.
Zwischen diesen beiden Richtungen herrscht eine Art Glaubenskrieg. Die einen werden nicht müde zu betonen, dass und wie die Biologie, die Evolution, das Erbe der Steinzeit und die archetypischen Energien Mann und Frau eben unterschiedlich geschaffen hätten. Die anderen sehen im Geschlecht vor allem eine Rolle, eine soziale Konstruktion, der gegenüber die biologische Komponente zu vernachlässigen sei.
Ich wünsche mir, dass die entschiedensten VertreterInnen beider Richtungen unser Buch lesen. Die 15 intimen Gespräche geben nichts her für Ideologien, sondern bieten eine differenzierte Betrachtungsweise, die viel näher am Leben ist als reine Theorie und ihre vermeintlich wissenschaftlichen Belege. Wer die Gespräche aufmerksam liest, wird merken: Männer unterscheiden sich nicht nur sehr deutlich voneinander, sie sind auch in sich selbst höchst widersprüchlich. In jedem einzelnen Mann finden sich sogenannt männliche und sogenannt weibliche Seiten, und in jedem gehen sie eine einzigartige Verbindung ein. Für die Entwicklung des einen ist es wichtig, seine archaische Männlichkeit zu entdecken, für den anderen die stille Liebe mit seiner Partnerin. Der eine will auf keinen Fall etwas anbrennen lassen, der andere verzichtet jahrelang auf Sex, weil ihm die Liebe zu seiner Frau wichtiger ist. Ganz nebenbei: Welcher von beiden hat wohl eher ein Problem mit seiner Potenz? Im Klischee scheint die Antwort eindeutig, aber könnte es nicht auch genau umgekehrt sein?
In meinen Seminaren und Trainings ist es längst selbstverständlich, der jeweils individuellen Wahrheit und Wahrnehmung nachzuspüren und dabei Ideologie und Vorurteile zurücktreten zu lassen. Wie unendlich reich und unvorhersehbar das Leben doch ist, nicht zuletzt auf dem Gebiet sexueller Attraktion und Empfindung! Wie arm im Vergleich dazu ist es, uns an normierte Erwartungen anzupassen? In den Workshops erlebe ich viel Bereitschaft zu differenzieren und die ganze männlich-weibliche Polarität zu würdigen – ohne festlegen zu müssen, wer wann welchen Part übernimmt. Ich genieße das sehr und empfinde darin die Magie echter Freiheit.
In der Öffentlichkeit ist diese Freiheit noch kaum angekommen. Die Medien lieben Schlagzeilen wie in Psychologie Heute Compact: „Es gibt ihn, den neuen Mann!“ Bei näherer Lektüre legt dieses Heft aber viel eher nahe: Es gibt Männer. Sie denken, fühlen und verhalten sich unterschiedlich. Aber werden sie auch so wahrgenommen?
Eines der wichtigsten Anliegen, das ich mit dem Buch „Lustvoll Mann sein“ verbinde, ist unserem Reichtum und unserer Vielfalt als sexuelle Wesen eine Stimme zu geben, jenseits fixer do’s! und don’ts! Dadurch könnten noch viel mehr Männer – und natürlich auch Frauen – neugierig werden: Wer bin ich als sexuelles und liebesbegabtes Wesen? Was erfüllt mich? Was möchte ich leben? Was hält mich davon ab? Und in welchem Umfeld finde ich die Unterstützung, diesen Fragen vertrauensvoll nachzugehen?
Ich bin heilfroh, recht früh in meinem Leben ein solches Umfeld kennen gelernt zu haben, vor allem auch, weil mir das die Möglichkeit gibt, ein solches Umfeld für andere Menschen, Frauen und Männer, zur Verfügung zu stellen.
Herzlich willkommen in deinem Frausein, in deinem Mannsein.
Ich freue mich über Anregungen und Kommentare. Was macht uns als Frauen, als Männer aus? Was verbindet uns, und was verdient den Respekt für Anderssein?
Herzliche Grüße
Saleem Matthias Riek
Lieber Saleem,
ich hatte die zwei Richtungen, die du beschreibst, zwar schon bemerkt, aber noch gar nicht so bewusst in ihrer Polarisierung wahrgenommen. Jetzt wo du es sagst bzw. schreibst… Ich fände es auch wünschenswert, dass VertreterInnen beider Richtungen die Männergespräche lesen würden, denn das könnte zu gegenseitiger Aufgeschlossenheit beitragen.
Liebe Grüße, Alaka
Das es zwei „Glaubensrichtungen“ gibt, war mir gar nicht bewusst.
Mein erster Gedanke war, das das aber doch klar sein muss, dass es die zwei Seiten gibt. Das es sich wie Yin und Yang verhält. Und wenn man das Symbol ganz schnell dreht (also wie das Leben, oder in der Vereinigung die Grenzen verschwimmen können), dann werden wir wohl weder das eine, noch das andere sehen können. Es erscheint etwas neues.
In meiner Vorstellung sehen wir dann ein Grau, was beides enthält. Wenn wir aber das Rad dann wieder anhalten, dann können wir die trennenden Dinge erkennen, aber nicht mehr das dritte gemeinsame.
Das ist fast so wie in der Physik, wo man entweder den Ort oder die Energie bestimmen kann, aber nicht beides gleichzeitig mit Gewissheit.
Für mich stellt sich nun die Frage, ob diese Polarität sich nicht auch wie Yin und Yang verhält. Das gerade die Grenze gebraucht wird um das andere überhaupt wahrzunehmen. Wir brauchen das Anders sein unseres Gegenüber, um etwas zu haben, woran wir uns reiben können. Was unsere Aufmerksamkeit erfordert und manchmal auch einfordert. Wenn wir uns dann darauf einlassen, können wir besser ein „das bin ich“ und ein „das bin ich nicht“, weil „das bist du“ erfahren. Erst durch diese Erfahrung sind wir überhaupt in der Lage, das grenzenlose Etwas (hier fehlt mir der Begriff, aber ich verbinde damit Verschmelzung und ineinander aufgehen) erfahren zu können. Wenn wir von vornherein aber keine Gegenseite haben, wie sollen wir, dann den anderen erkennen können? Wir könnten höchstens uns selber erkennen. Oder wir erkennen gerade dann nur das dritte.
Aber das fände ich langweilig. Spannender ist es doch, das zu erkennen, was ich noch nicht erkannt habe. Darin liegt doch ein gewisser Reiz, etwas verführerisches, aber auch etwas was mir Angst macht/machen kann. Wie ich es im Moment auch drehe und wende. Es ist zwei und doch eins, weil drei. Gerade dieses Paradoxon macht den Reiz für mich aus.
PS. Wie ich schon auf der Webseite zum Buch geschrieben habe, gehört das Buch in jeden Männer Kreis. Es kann so manche Tür öffnen und Hindernisse beseitigen, nach ganz eigener Erfahrung. Den Frauen möchte ich es unter das Kopfkissen legen. Bei Fragen, sollen sie sich an ihre Männer wenden.
Es kann für beide Seiten eine Bereicherung sein. Ganz nach dem so wichtigen Satz “Ich sehe Dich!“
Ups… schon wieder diese Polarität 🙂
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