Lob der Anmache

Der Mai gilt als die Zeit, in dem nicht nur in der Natur alles sprießt, sondern in dem auch in uns Lust und Liebe zu neuem Leben erwachen. Wenn wir im Alltag genügend Gelegenheit dazu haben, können wir uns freuen. Was aber, wenn nicht? Die allerorten knutschenden Pärchen können auch den einen oder anderen Blues auslösen. Wohin mit den in uns sprießenden Gelüsten? Und wenn wir die Flamme des Begehrens noch nicht spüren, wer oder was macht uns an?
Anmache genießt in unserer Kultur keinen besonders guten Ruf. Sie wird oft mit sexueller Belästigung assoziiert, dabei ist sie doch eigentlich ein Geschenk. Wer uns anmacht, kann unsere Lust entflammen, kann uns begeistern, mitreißen und vielleicht auch unser Herz erwärmen. Wir werden all dies allerdings nur zu würdigen wissen, wenn wir gelernt haben, Grenzen zu setzen und Nein zu sagen. Wenn wir das nicht können, sind wir versucht, unser Dilemma demjenigen in die Schuhe zu schieben, der uns mit seinem Begehren umwirbt: Wie kann der nur? Merkt sie denn nicht?
Ich finde es an der Zeit, die Rolle dessen, der begehrt und dies auch zeigt, zu rehabilitieren. Klassischerweise sind das die Männer, aber das gilt natürlich genauso für den immer häufigeren Fall, dass Frauen in diese Rolle schlüpfen. Zwischen begehrend umwerben und belästigen zu unterscheiden ist wesentlich, aber eigentlich doch nicht so schwer. Im puren Begehren respektieren wir die Freiheit des anderen, auf unsere Wünsche und Gelüste einzugehen oder eben nicht. Belästigend verhält sich jemand erst dann, wenn er versucht, unsere Grenzen auszuhebeln, sie zu unterlaufen, uns zu nötigen oder anschließend zu bestrafen. Ist es so schwer, das auseinander zu halten?
Tantra SkulpturWollen wir das überhaupt auseinanderhalten? Es hätte ernste Konsequenzen! Anmache als würdevolles Angebot zu achten – wobei würdevoll durchaus zärtlich und sexy sein kann – mischt in mancher Hinsicht die Karten neu, sowohl für Singles als auch in Liebesbeziehungen. Ist dir auch schon einmal aufgefallen, wie viel Macht derjenige besitzt, der Nein sagt? Um etwas gemeinsam zu unternehmen oder sich auf eine intime Begegnung einzulassen, braucht es die Zustimmung beider. Um einen Vorschlag abzulehnen, braucht es immer nur einen. Die tendenziell größere Macht eines Nein liegt also in der Natur der Sache.
Dieses Gesetz ist in unserer Kultur überlagert von der Tatsache, dass Männern traditionell einerseits mehr Macht zugeschrieben wird und sie andererseits diejenigen sein sollen, die aktiv ihr Begehren äußern, während die Frauen sich diesem hingeben, oder eben auch nicht. Diese beiden Aspekte führen zusammen genommen dazu, dass es als machtvoll angesehen wird, wenn ein Mann sein Begehren zum Ausdruck bringt, und als weniger mächtig, dazu ja oder nein zu sagen. Strukturell gesehen ist es jedoch genau umgekehrt: wer weniger Verlangen hat und daher nicht selbst das Risiko eingehen muss, sich einen Korb einzufangen, hat eigentlich mehr Macht. Die Macht wird allerdings selten subjektiv als solche wahrgenommen: manche(r) steht angesichts von zwei- oder gar eindeutigen Avancen mit dem Rücken zur Wand. Und schon gar nicht führt uns die Machtfülle des Nein zur eigenen Erfüllung.
Wer Seminare bei mir besucht hat, weiß, dass ich es jederzeit unterstütze Grenzen zu setzen und alle Übungen so aufbaue, dass es möglichst leicht ist, die eigenen Grenzen den jeweiligen Partnern gegenüber zu artikulieren. Sich tiefer auf einen intimen Kontakt einzulassen, als wir innerlich dazu bereit sind, ist kaum je heilsam. Trotzdem missachten wir zuweilen unsere Grenzen, oft wohl aus Angst, sonst die Zuwendung des anderen zu verlieren. Nein sagen zu können ist also eine Kernkompetenz, die sich zu lernen lohnt.
Aber wofür setzen wir diese ein? Letztlich ist jedes Nein ein heimliches Ja für etwas anderes. Vielleicht ist es uns selbst noch gar nicht bewusst, wozu wir statt dessen gerne Ja sagen würden, oder anders gesagt, was wir uns wirklich wünschen. Unser Begehren, unsere Wünsche und Sehnsüchte zu spüren und zu äußern ist genauso wichtig wie die Fähigkeit, Grenzen zu setzen, oder sogar noch wichtiger. Wenn niemand sich mit seinen oder ihren Wünschen outet und damit ein Nein riskiert, kommen wir einander nie wirklich nahe. Dann bleiben wir sicher hinter unseren Schutzmauern, während das Leben woanders tanzt.
Warum schätzen und würdigen wir also nicht, wenn uns jemand anmacht? Es könnte ein wohlmeinender Ausgleich sein für die Macht des Nein. „Nein Danke!“ wäre dann keine reine Floskel mehr, sondern Ausdruck echter Anerkennung des Risikos, dass um gemeinsamer Lust und Liebe willen eingegangen wurde. Und es muss ja auch nicht immer um ja oder nein gehen, auch mehr oder weniger von diesem oder von jenem zu wollen kann schon für ausreichend Dynamik sorgen. Früher hieß es, die Frauen wollen mehr Liebe und Zärtlichkeit, die Männer mehr Sex. Kürzlich las ich im Stern, dass immer mehr Frauen auch zu ihren eindeutig sexuellen Wünschen stehen, und manche Männer dabei in die Defensive geraten, und diese Beobachtung deckt sich durchaus auch mit meinen Erfahrungen.
Intimtiät und VerlangenUnterschiedliches Begehren, so der bekannte Paartherapeut David Schnarch, ist kein Unglück, sondern ehernes menschliches Gesetz. Doch damit nicht genug: In festen Partnerschaften, so Schnarch, kontrolliert der Verlangens-schwächere Partner den Sex (natürlich nur, wenn Sex nicht mit Gewalt oder Nötigung erzwungen wird). Was folgt daraus? Es kann ganz unterschiedliche Konsequenzen haben! Die – zumindest für den Begehrenden – schlechte Nachricht zuerst: Es führt dazu, dass Sex auf Dauer immer seltener wird. Die gute Nachricht: das muss nicht so bleiben! Um diesem Schicksal zu entkommen, müssen wir allerdings die Macht des Nein anerkennen und darauf verzichten, sie zu missbrauchen. Das heißt vor allem, dass wir Initiativen in Richtung Lust und Liebe wertschätzen, auch wenn wir ihnen nicht immer nachkommen wollen. So können Paare eine Positivspirale entwickeln, indem sie die Anmache des Partners nicht diskriminieren, sondern ehren.
Wenn wir selbst die Person mit dem größeren Verlangen sind, oder einfach Lust auf mehr haben, als der Alltag im Allgemeinen und Besonderen so her gibt, dann stehen wir vor besonderen Herausforderungen. Wir machen uns verletzlich, wenn wir uns mit unseren Impulsen outen, und wir sind tendenziell in der schwächeren Position. Erschwerend kommt hinzu, dass wir sowohl in einer Partnerschaft als auch als Single die Anerkennung unserer Gelüste und Sehnsüchte nicht immer von außen erwarten können. Wir sind also gefordert, sie zunächst selbst liebevoll anzuerkennen. In unserer Selbstliebe finden wir die Basis, uns mit unserem Begehren heraus zu trauen. Und was kommt dann?
LilieWer denkt bei Anmache gleich an plumpe Anmache? Auch darin liegt eine Art Naturgesetz. Wenn wir Anmache nicht wertschätzen, wie sollte sie anders ankommen als plump? Wenn wir sie jedoch uns selbst wirklich erlauben und feiern, dann werden wir sie freiwillig gerne verfeinern und zur Kunstform entwickeln. Und wenn sie uns entgegen gebracht wird, dann freuen wir uns über die vielfältigen Angebote, die uns das Leben so macht. Hey, das macht mich an, rufen wir dann mit Begeisterung. Oder im anderen Fall: war ein netter Versuch, aber lass gut sein. Aber danke für das Angebot.
Vielleicht können wir auf diese Weise immer mehr genießen, wie uns die üppig sprießende Natur einlädt – uns anmacht – unsere Behausungen zu verlassen, das Leben in allen seinen Facetten zu genießen und dabei zu riskieren, was eigentlich kein Risiko sondern gewiss ist: dass es nach dem Sommer auch wieder Herbst und Winter geben wird. Alle Lust will Ewigkeit, und sie findet sie doch nur immer im Hier und Jetzt. Aber jetzt ist Frühling, es wird langsam wärmer und vielleicht sogar noch richtig heiß. Macht dich das an oder magst du es lieber cool?
Herzliche Grüße
Saleem

Über Saleem Matthias Riek

Saleem Matthias Riek ist Heilpraktiker mit dem Schwerpunkt Paar- und Sexualtherapie, Tantralehrer, Diplom-Sozialpädagoge und lebt bei Freiburg im Breisgau. Saleem ist Autor mehrerer Bücher rund um Lust und Liebe, Tantra und Spiritualität. Bisher erschienen sind "Herzenslust" (auch als Hörbuch), "Leben, Lieben und Nicht Wissen", "Herzensfeuer", "Lustvoll Mann sein" und "Mysterien des Lebens". Weitere Bücher sind in Vorbereitung, u.a. eine Romantrilogie.
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2 Antworten zu Lob der Anmache

  1. Walter sagt:

    Lieber Saleem!
    Auf dem Weg in ein gemeinsames Wochenende nach länger Krise mit (noch) verhaltenen Wünschen und „Anmachen“ tut uns Dein Text so richtig gut: kann es sein, dass nichts ein Zufall ist? Jedenfalls hab ich ihr den Text vorgelesen und gesagt, dass ich dieses Thema bei Dir bestellt hätte, so gut passt es!
    Danke
    Grüße aus dem Norden
    Walter

  2. Das Problem des Anmachers entsteht für mich dann, wenn der Angemachte nicht gelernt hat NEIN zu sagen. Er sagt vielleicht ja und meint nein. Und schon überschreitet man Grenzen, wird selbst unsicher, wenn man es merkt. So macht das Spiel des Anmachens jedenfall keinen Spaß!

    Also, ein Lob auf die Anmache und ein Lob auf das NEIN.

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