Wer hätte das gedacht. Auch unser Bundespräsident entdeckt sein Herz für Widersprüche. So sagte er kürzlich, am 24.3.2009, in seiner Berliner Rede
Die große Chance der Krise besteht darin, dass jetzt alle erkennen können: Keiner kann mehr dauerhaft Vorteil nur für sich schaffen. Die Menschheit sitzt in einem Boot. Und die in einem Boot sitzen, sollen sich helfen. Eigennutz im 21. Jahrhundert heißt: sich umeinander kümmern.
Bravo, lieber Horst, da können wir ja nur applaudieren. Von allen Seiten, von allen Parteien bekommt Köhler Zuspruch. Die Doppelbödigkeit dieses Zuspruchs wird schnell in einer Karikatur der Badischen Zeitung aufgegriffen, in die Worte Köhlers bei der Elite von Wirtschaft und Poltitik von einem Ohr dankbar aufgenommen und vom anderen Ohr sogleich in den Müll entsorgt werden.
Warum bleibt die Wahrheit, die Köhler hier ausspricht, so folgenlos? Ich glaube ganz einfach deswegen, weil noch nicht wirklich erkannt und anerkannt wird, dass der Konflikt zwischen Eigennutz und Gemeinsinn nicht weniger ist als der Grundkonflikt unserer Existenz. Wir müssen uns um unser individuelles Wohl kümmern, sonst bleiben wir auf der Stufe eines Kindes, das darauf wartet, versorgt zu werden. Und je mehr wir lernen, uns um unser Wohl zu kümmern, merken wir, dass wir von Wohl und Wehe unserer Liebsten und Nächsten nicht getrennt sind. Mit wachendem Bewusstsein zieht diese Erkenntnis immer weitere Kreise, bis wir sogar bei unseren Feinden ankommen. Ken Wilber nennt dies die Entwicklung von der Egozentrik zur Ethnozentrik hin zur Weltzentrik und glaubt, das von deren Gelingen schlicht das Überleben der Menschheit abhängt.
Wenn also Horst Köhler in der gleichen Rede der Politik bescheinigt, jetzt den richtigen Weg eingeschlagen zu haben, dann lache ich nicht nur mit dem Karikaturisten, dann steigt Wut in mir auf ob soviel Blauäugigkeit des Präsidenten, oder ist es Betriebsblindheit? Böswilligkeit? Eigennutz? Weiß er es selbst?
Zugleich weint in mir auch eine Kinderseele, die nicht glauben mag, dass wir Menschen weiter blind und sehend zugleich der Zerstörung unserer Lebensgrundlagen entgegenschreiten und dabei in Sorgen gefangen bleiben, ob unser Geld überleben wird. Wie heißt noch die alte Indianerweisheit?
„Erst wenn ihr den letzten Baum gefällt habt werdet ihr entdecken, dass man Geld nicht essen kann.“
Auch so ein Satz, wo jeder applaudiert…
Die Paradoxie, die Köhler benennt, sie verdient mehr Aufmerksamkeit, Einfühlung und Verständnis. Was brauchen wir Menschen, um wirklich über unseren Egoismus hinaus zu wachsen? Moral scheint hier nicht nachhaltig weiter zu helfen, denn sie erzeugt Widerstand. Aber was dann? Haben Sie eine Antwort?
Herzliche Grüße
Saleem Matthias Riek