Kennen Sie das Phänomen? Sie kommen in eine Saunalandschaft und alle Liegestühle sind besetzt. Nicht, dass auf jeder Liege jemand liegen würde, nur ein Drittel wird wirklich aktuell genutzt. Aber sie sind alle mit Badetüchern oder Taschen belegt, die zu sagen scheinen: dieser Liegestuhl ist bereits reserviert.
Wie reagieren Sie, wenn Sie auch einen Liegestuhl wollen, aber keiner mehr frei ist?
- Sie ärgern sich, dass so viele Liegen ungenutzt reserviert sind, unternehmen aber weiter nichts?
- Sie nehmen kurzerhand die auf einer Liege deponierten Habseltigkeiten und legen sie beiseite, legen sich selbst auf die Liege und harren mit Herzklopfen der Dinge, die da kommen sollen? Alternativ dazu reden Sie sich selbst ein, mit dieser beherzten Aktion vollkommen im Recht zu sein und haben keinerlei Angst vor einer möglichen Konfrontation?
- Sie gehen zum Bademeister und beschweren sich darüber, dass wieder mal alle Liegen belegt sind? Dieser weist sie darauf hin, dass überall Schilder angebracht seien, dass Liegen nicht reserviert werden dürfen, dies aber leider nicht beachtet würde. Er sei es müde, diese Konflikte ständig mit uneinsichtigen Badegästen austragen zu müssen und könne deswegen leider auch nicht weiter helfen.
- Sie denken intensiv darüber nach, wie dieses Problem ein für alle Male zu lösen wäre, haben aber noch keine Lösung gefunden und hoffen auf den ultimativen Vorschlag in diesem Text?
Ich weiß nicht, ob dieses Problem ein für alle Male gelöst werden kann, aber ich finde es spannend genug, ihm Mal auf den Grund zu gehen. Es handelt sich nämlich um nicht weniger als ein Grunddilemma unseres Menschseins. Ja, wir könnten auf den Besuch von Saunalandschaften verzichten. Aber wir kommen um das Dilemma nicht herum, dass wir Menschen, wenn wir unserem Eigennutz unmittelbar folgen, manchmal genau die Situation mit erschaffen, die uns letztlich allen, also auch uns selbst schadet.
Indem wir einen Liegestuhl reservieren handeln wir unmittelbar im eigenen Interesse. Wenn das aber die meisten tun, wird es auch für uns eng – wenn wir mal nicht unter den glücklichen sind, die noch einen Platz ergattern konnten. Wenn wir eine entsprechend gute Kinderstube genossen haben oder der Meinung sind, dass Eigennutz nicht glücklich macht, mit gutem Beispiel voran gehen und den Liegestuhl jedes Mal wieder frei geben, wenn wir ihn nicht brauchen – nun, dann sehen wir manchmal gelassen, manchmal aber auch genervt zu, wie andere eben nicht unserem gutem Beispiel folgen und wir selbst wieder mal die Gelackmeierten sind.
An dieser Stelle können wir resignieren und uns auf das Niveau der Selbstsüchtigen abfallen lassen. Oder wir rufen nach höherer Ordnung. Schließlich sind genug Liegestühle für alle da, wenn, ja wenn sie nicht überwiegend reserviert würden. Wenn also mein gutes Beispiel nicht reicht, dann wende ich mich vielleicht an die Geschäftsleitung und rege an, das Reservieren von Liegestühlen nicht nur zu verbieten und entsprechende Schilder anzubringen, sondern dieses Verbot ggfs. auch durchzusetzen. Der Geschäftsführer ist ein sympathischer junger Mann und zeigt volles Verständnis für mein Anliegen. Er verweist darauf, dass er Schilder habe anbringen lassen, dass er aber noch davor zurückschrecke, Bußgelder zu verhängen oder Hausverbot zu erteilen. Das wäre ja dann doch etwas unverhältnismäßig und würde dem guten Ruf des Hauses schaden. Zeitweilig hatte er das Badepersonal angewiesen, die Liegestühle regelmäßig frei zu räumen und kleine freundliche Zettel zu hinterlassen mit einem Hinweis, wo die Gegenstände deponiert worden seien. Das Personal hatte daraufhin soviel Ärger mit Badegästen, dass es sich weigerte, weiter so vorzugehen. Nun weiß er auch nicht weiter und tendiert dazu, dass das Leben eben nicht perfekt ist und dass es uns besser geht, wenn wir menschlichen Schwächen mit Nachsicht begegnen. Das saß, plötzlich kam ich mir irgendwie klein und schäbig vor.
Mit etwas Abstand wurde ich dann wütend. Was bildet sich dieser junge Schnösel eigentlich ein? Okay, okay, auf die Liegestühle kann ich auch verzichten. Aber ist es nicht genau das gleiche Problem, wenn Bankmanager Casino spielen, selbst dick absahnen und von ihrer Poolbar in der Karibik aus zusehen, wie die ganze Weltwirtschaft dem Ruin entgegen treibt? Oder ist es vielmehr das Geld-System mit Zins und Zinseszins, das den Eigennutz des Einzelnen langfristig in einen Schaden für alle verwandelt? Aber wer ist dafür verantwortlich? Wer kann das ändern?
Zugegeben, der Sprung von der Sauna zur Weltwirtschaft war etwas groß, aber heiß ist beides allemal und bringt uns samt Klima zum Schwitzen.
Also, cool down! Das Grunddilemma ist das gleiche: Obwohl aus der Vogelperspektive betrachtet Lösungen möglich, ja sogar einfach zu realisieren wären (im Beispiel: es gibt genug Liegestühle in der Badelandschaft und es gibt auch genug Nahrungsmittel, um alle Menschen zu ernähren!), rennen wir Menschen kollektiv in unser Verderben, indem wir mehrheitlich auf unser persönliches Interesse fixiert bleiben. Und auch der Versuch, dem kollektiven Interesse zur Macht zu verhelfen und den Einzeln hierfür zu entmachten hat historisch-materialistisch gesehen keine überzeugende Lösung, aber viel Leid gebracht. Was also ist zu tun?
Ich neige zu der These, die der Philosoph Ken Wilber vertritt: das Schicksal der Menschheit ist eng verknüpft mit dem Wachstum unseres Bewusstseins. Weder Ökologie noch ein gerechteres Wirtschafts- und Finanzsystem noch das Ende kriegerischer Auseinandersetzungen werden möglich sein ohne dass wir Menschen unseren Horizont erweitern und es nicht nur intellektuell begreifen, sondern in jeder unserer Zellen spüren, dass wir alle mit allem verbunden sind.
Wie wir unser Bewusstsein dahingehend erweitern? Das ist eine brillante Frage, die ich das nächste Mal, wenn ich entspannt nach einem Saunagang vor mich hin träume, weiter verfolgen werde. Hoffentlich ist eine Liege frei.
Wohltuende Entspannung wünscht
Saleem Matthias Riek
„Der Meister klagte über die Uebel des Konkurrenzkampfes.
>Holen Wettbewerb und Konkurrenzkampf nicht das Beste aus uns heraus?Sie holen das Schlimmste heraus, denn sie lehren uns das Hassen.Was hassen?Dich selbst – denn du lässt zu, dass deine Aktivität von deinem Konkurrenten bestimmt wird und nicht von deinen Erfordernissen und Grenzen.
Andere – denn du versuchst, auf ihre Kosten vorwärtszukommen.Das hiesse dann aber, alle Veränderung und allen Fortschritt zu Grabe zu tragenDer einzige Fortschritt, den es gibt, ist der Fortschritt der Liebe. Die einzige Veränderung, die wert ist, erstrebt zu werden, ist die Veränderung des Herzens.<
ANTHONY DE MELLO
Jetzt lege ich mich mal auf meine Liege und freue mich schon auf Deinen nächsten Saunagang und Deine Anstösse dazu, wie wir unser Bewusstsein erweitern und damit dann wohl auch liebesfähiger werden können.
Sabine