Was bewegt uns?

Eine einfache Frage. Aber sie hat es in sich. Sie kann uns in den Kern unseres Seins führen. Was bewegt uns zutiefst? Und was wissen wir überhaupt darüber?
Wir können die Frage natürlich spontan und leicht beantworten, z.B. „Mich bewegt gerade, was ich heute noch alles zu erledigen habe.“ Oder: „Ich freue mich über das schöne Wetter.“ Wir können aber auch etwas tiefer gehen und bekommen dann Antworten wie „Ich bin unzufrieden mit meiner Arbeit und das quält mich“ oder „Mir wird schlecht, wenn ich daran denke, was für Leute unser Land regieren“ oder „Ich habe Lust auf erotische, sinnliche Berührung.“ Oder wir gehen noch tiefer: „Ich sehne mich danach, bedingungslos geliebt zu werden“ oder „Ich möchte mit meiner Arbeit etwas von bleibendem Wert erschaffen.“

Solange wir leben sind wir in Bewegung. Wir sind bewegt. Aber was ist es eigentlich, was uns bewegt? Sind es unsere Gedanken? Unsere Gefühle? Unsere Instinkte? Unsere Sehnsüchte? Unsere Glaubenssätze? Unsere Eltern? Unser Körper? Liebe? Gott?

Je mehr wir mit diesen Fragen in die Tiefe gehen, desto mehr entdecken wir, dass wir es eigentlich gar nicht so genau wissen, was uns bewegt. Wir sind in Bewegung, aber unsere wirkliche Motivation für all das, was wir den lieben langen – oder kurzen – Tag tun, ist sie uns bewusst? Und wenn wir vermeintlich einfache Antworten bekommen wie „Ich arbeite, weil ich Geld zum Leben brauche“ oder „Ich bin mit meiner Partnerin zusammen, weil ich sie liebe“ – stimmt das überhaupt? Oder sind das nur Schutzbehauptungen, um uns nicht tiefer Rechenschaft darüber ablegen zu müssen, was wir eigentlich den ganzen Tag über so treiben? Könnte es nicht auch sein, dass wir arbeiten, um uns nicht nutzlos zu fühlen, um den Tag zu strukturieren oder um „dazu zu gehören“? Könnte es auch sein, dass wir mit unserer Partnerin zusammen sind, weil wir Angst davor haben allein zu sein? Oder weil wir dann regelmäßig Sex bekommen?

Neulich vor der Bundestagswahl sah ich das Duell von Merkel und Steinmeier. Warum ich mir das angetan habe, weiß ich nicht wirklich. Aber immerhin gibt es mir Stoff für diesen Text. Ich war beeindruckt, wie inhaltslos, wie komplett ohne jede Vision die beiden antraten.Wenn ich mich frage, was diese Politiker eigentlich bewegt , dann macht sich erstmal Ratlosigkeit breit. Die wirkten so was von unmotiviert, dass ich noch nicht mal Machthunger bei ihnen ausmachen kann. Eitelkeit? Arroganz vielleicht? Alles nur in Spurenelementen. Ja, da war Besserwisserei, aber selbst die war irgendwie blutleer. In der nachfolgenden Talkrunde sagte einer der Gastexperten, ein Schauspieler: „Die wirkten wie geklont. Da kam nichts, aber auch gar nichts über die Rampe. Wie Marionetten.“ Es scheint so, als würde unsere Kultur von Menschen geführt, die nicht wirklich spüren, wofür es sich lohnt zu leben.

Was Politiker aller Parteien versprechen, ist Arbeit zu schaffen. Das ist traurig. Wenn wir schon nicht wissen wofür wir leben, dann dürfen wir zumindest arbeiten! Der moderne Kampf um Arbeitsplätze, vollkommen abgekoppelt davon, ob diese nun sinnvolle Tätigkeit beinhalten oder uns in den Abgrund führen, er wird zunehmend pervers. Wir verschrotten unsere Autos, damit wir neue kaufen können. Dieses Prinzip ließe sich noch ausbauen! Arbeitslosigkeit, von manchen als die „Geißel der Menschheit“ bezeichnet, sie wäre Vergangenheit. So könnte z.B. auf jedes Konsumgut ein Abwrackdatum vermerkt werden, zu dem es bei Strafe auf den Müll muss. Wir könnten auch noch radikaler werden. Wir könnten – ganz ohne Krieg – unsere Häuser in die Luft jagen und neue bauen. Das brächte Arbeit noch und noch!

Noch mehr Ideen für neue Arbeitsplätze gefällig? „Schwarzsex“ könnte verboten werden. Nein, das ist nicht rassistisch. Es geht dabei nicht um Sex mit Schwarzen. Es ginge um Sex, für den kein Lohn gezahlt wird. Er würde genauso verboten wie heute die Schwarzarbeit. Das brächte eine Vollbeschäftigung, von der heute niemand zu träumen wagt. Alternativ dazu wäre auch zu erwägen, ob schwarze Kindererziehung – heute beschönigend Familienleben genannt – wenn nicht verboten so doch mindestens kontingentiert werden sollte…

Ich hatte die Geschichte von Adam und Eva früher so verstanden, dass die beiden aus dem Paradies verbannt und dazu verdonnert wurden, im Schweiße ihres Angesichts zu arbeiten. Vom heutigen Standpunkt muss man wohl sagen, dass Gott ihnen ein riesiges Geschenk gemacht hat: er gab ihnen Arbeit! Ob Gott wohl schon diesbezüglich ins Grübeln gekommen ist?

Ich könnte mich hier richtig in Rage schreiben. Das macht irgendwie Spaß. Dieses permanente inhaltsleere Gerede von Arbeitsplätzen geht mir schon lange die Nase hoch. Aber das eigentliche Thema dahinter, das bewegt mich noch tiefer, nämlich die Frage, was uns denn eigentlich im Innersten bewegt. Was treibt uns an? Wofür lohnt es sich zu leben? Wofür zu arbeiten?
Die Frage kann unbequem sein, weil sie vielleicht erstmal ein weites Ödland in uns aufdeckt, in dem wir nicht viel spüren und einfach funktionieren. Aber wenn wir uns davon nicht abschrecken lassen und unsere Motive tiefer erforschen, dann warten saftige Wiesen tiefen Bewegt-Seins auf uns. Die lohnt es zu entdecken. Es kann allerdings ein wenig Arbeit sein, sich dahin auf den Weg zu machen.

Neulich hörte ich einen Bericht im Radio. Darin ging es um den Unterschied von extrinsischer und intrinsischer Motivation. Er besteht einfach gesagt darin, dass ich im ersten Fall auf äußeren Lohn wie Geld oder Anerkennung aus bin, im zweiten Fall bin ich durch innere Befindlichkeiten motiviert, z.B. indem mich die Tätigkeit selbst befriedigt oder erfüllt. Und nun der spannende Forschungsbefund: Wenn wir etwas eigentlich gerne tun, und keinen Lohn dafür erwarten, dann verlieren wir leicht unsere Freude daran, wenn wir äußeren Lohn dafür bekommen. Ein Kind, das gerne gelernt hat, verliert das Interesse am Lernen, wenn es Noten dafür bekommt. Es lernt irgendwann nur noch für die Noten. Es spürt seine eigene Neugier nicht mehr. Ich finde das höchst spannend, denn diese Erkenntnis kann zum Ausgangspunkt werden zu erforschen, was uns wirklich bewegt und für wen oder was wir das tun, was wir tun.
Ein guter Ausgangspunkt für diese Selbsterforschung ist anzuerkennen, dass wir möglicherweise viel weniger über unsere echte, wahrhaftige Motivation wissen, als wir bislang gedacht haben.

Ich wünsche mir eine Kultur, in der mehr und mehr Menschen wieder Zugang finden zur inneren Quelle ihres Bewegt-Seins. In der wir uns immer wieder mal fragen: macht das eigentlich Sinn, Freude oder Spaß, was ich da tue oder tue ich es weil ich denke ich muss?
Ich finde diese Quelle, wenn ich innehalte, wenn ich spüre, was eigentlich in mir los ist, wenn ich nichts damit tun muss. Manchmal so lange bis ich mich langweile. Oft taucht erstmal innere Unruhe und Ungeduld auf und will mich wieder zum schnellen Tun verführen. Aber wenn ich auch diese Unruhe einfach spüre und nichts damit mache, dann fängt sie irgendwann langsam wieder an zu sprudeln. Und das fühlt sich so gut an, dass es sich lohnt, mir Zeit dafür zu nehmen. Auch ganz ohne äußeren Lohn.

Ich wünsche uns allen viel Freude bei allem was wir tun… und beim Nichts-Tun, beim einfach bewegt sein…

Herzliche Grüße
Saleem Matthias Riek

Über Saleem Matthias Riek

Saleem Matthias Riek ist Heilpraktiker mit dem Schwerpunkt Paar- und Sexualtherapie, Tantralehrer, Diplom-Sozialpädagoge und lebt bei Freiburg im Breisgau. Saleem ist Autor mehrerer Bücher rund um Lust und Liebe, Tantra und Spiritualität. Bisher erschienen sind "Herzenslust" (auch als Hörbuch), "Leben, Lieben und Nicht Wissen", "Herzensfeuer", "Lustvoll Mann sein" und "Mysterien des Lebens". Weitere Bücher sind in Vorbereitung, u.a. eine Romantrilogie.
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8 Antworten zu Was bewegt uns?

  1. Ute K. sagt:

    so wahr – so bitter – ich warte auf die Schlagzeile der Bildzeitung „Politiker beim Schwarzsex erwischt“. Lieber Saleem, zeig dich geschäftstüchtig und biete ein Seminar an zum Thema „Geld und Lust“ :-))

  2. Ach Saleem,
    es tut einfach gut Deine Zeilen zu lesen und ich freu mich wie ein kleines Kind, wenn ich Nachrichten von Dir/Euch bekomme.
    Ich empfinde Dich so herrlich unnormal normal, was immer man unter normal verstehen mag.
    Das letzte Seminar „Berührt sein“ tut bei mir immer noch nachhaltig seine Wirkung. Beim nach Hause kommen hat mein Körper erst mal rebelliert, d.h. ich hab mich einen Tag lang übergeben ( nicht wegen des guten Essens!), dann war „es“ raus und ich bin mir wieder ein Stück näher gekommen. Vielen Dank!
    Herbststürmische Grüße,
    Carolin

  3. Hallo lieber Saleem,
    nach langer Zeit habe ich wieder etwas von dir gelesen und es hat mich so herzerfrischend „bewegt“. Mit Freude und Dankbarkeit denke ich an mein erstes Jahrestraining zurück. Es folgten noch viele ArtofBeing – workshops, auch bei Alan. Mein Leben hat sich durch diese innere Arbeit total verändert und inzwischen empfinde ich jeden Tag meines Lebens als intensiven workshop und bin voller Vorfreude auf das, was noch kommen mag…

  4. Steffen sagt:

    hallo lieber saleem,
    danke für deine zeilen, die mich bewegen und die genau zu meiner situation passen – ein burn-out „warf“ mich aus meinem berufstrott, in dem ich der illusion verhaftet war, nicht zu genügen, nicht fertig zu werden, immer unter druck zu stehen, während sich „draußen“ leute um arbeit bemühen bzw. diese erstreben – „seid froh, dass ihr keine habt“, möchte ich denen gelegentlich zurufen – das, was wir da machen hat nichts mehr mit selbstentäußerung, kreativität und freude zu tun – es ist einfach nur noch ein hilfloses weiterwursteln auf dem wahnsinnspfad nach ewigem wachstum und immer höherer effizienz, was ja nur den vermeintlichen mangel, den man uns einredet, widerspiegelt. alles ist in wirklicheit in hülle und fülle da. aber wenn wir es in uns nicht zu heben verstehen, wird es im außen nicht sichtbar. ein dummes geldsystem, das auch nur mangel erzeugt – in der regel sogar bei denen die arbeiten (wie paradox) – sorgt im untergrund dafür und widerspiegelt unseren mentalen stand. Auch ich, der ich meinte einigermaßen wach zu sein, habe mich im gestrüpp der arbeitswelt verloren. Mich wiederzufinden, und dabei auch das nichts, hilflosigkeit und trauer zu durchschreiten, um am boden die „saftigen wiesen der bewegtheit“ wiederzufinden, habe ich mich jetzt aufgemacht. alles liebe steffen

  5. Thomas Gogolok sagt:

    Lieber Saleem,

    ich spüre, dass auch die Arbeit ein SeinsZustand ist, den man lieben und annehmen kann und jederzeit Kraft seiner Gedanken ändern kann. Die Überlegungen auf die Arbeit an sich zu beziehen ist zu kurz gegriffen, sie ist ja auch nur eine Illusion. Vielmehr möchte ich es als einen Gradmesser für den Zustand des eigenen Bewusstseins betrachten. Man kann diesen Zustand, die Arbeit ja jederzeit ändern. Es hilft nichts, Kritik zu üben, habe ich gemerkt. Was ich tun kann, ist mich weit zu machen, offen, körperlos und wahrzunehmen, wohin ich fließen will und auch alle(s) um mich wahrzunehmen, wie es Ist. Nichts tun, als meine Liebesenergie zu geben. Positiv kreieren. Ich bin damit immer öfter klar und sehe neben mir, wie chaotische Situationen gar nicht erst entstehen, sehe viele Wege und wähle den unspektakulärsten, den der mir persönlich am wenigsten bringt. Das funktioniert bis jetzt prima. Liebe und Licht, Thomas.

  6. christine dreier sagt:

    Lieber Saleem,
    Deine Leidenschaft tut mir gut!

  7. Kasriel sagt:

    Hallo Saleem
    Nun Was bewegt uns EIGENDLICH! warum Eigendlich????????
    Was bewegt uns.
    Das was wir unterbewusst bestätigt haben wollen. Ansonsten Verfolgen die meisten das was sie Müssen, nicht das was sie Wollen.
    Bewegung hat wohl was mit Muss zu tun. Deswegen scheinen die Menschen abends beruhigt vor der Glotze zu sitzen. O bewegung.
    Mich bewegt, Menschen Mut zu machen, Mut zu machen sich der Liebe zu öffnen, Menschen zu vertrauen, Mut sein leben in die Hand zu nehmen. Mut etwas zu Riskieren. Mut sich zu öffnen um all das Grandiose in sich und dem anderen zu erleben. Wir sind hier zur Materie Geworden um zu fühlen, zu erleben, was wir alles so mit unseren Sinnen erfahren können.Nicht um zu denken, zu ergründen, zu zerstückeln, oder Hochzuatmen. Zu erspüren, die Haut, die Lüft die Berührung, darum haben wir unsere Sinne.

    Grüße dich
    Kasriel

  8. Maximilian Bader sagt:

    Ja, was bewegt uns wirklich? Das Frage ich mich auch jeden Tag wenn ich die Menschen umher irren sehe. Viele machen es um sich nicht zu langweilen, sich gewisse Dinge käuflich erwerben zu können und weil es einfach mal so vorgegeben ist. Interessant finde ich auch den Lernaspekt, letztlich streben Kinder (junge Menschen) natürlich irgendwo nur nach der Bestätigung durch die Noten, nicht die eigene Neugier ist es, die bewegt. Ich frage mich wohin die ganze Digitalisierung jeglichem Lebensinhaltes führt, was macht es mit uns? Warum brauchen wir die Bestätigung durch Facebook und solche Plattformen?
    Viele Dinge die noch Antworten brauchen…und wir selber wissen auch nicht mehr was wir eigentlich wollen / wir haben ja so viele Möglichkeiten, welche es aber nicht leichter machen.

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