Eine Rezension
Der Untertitel dieses Werkes geht nicht selbstverständlich als banale Feststellung durch, sondern kann auch als knackige These verstanden werden. Weil das so ist, braucht es dieses Buch.
„Männer sind rechthaberisch, egoistisch, gewalttätig, brutal, eingebildet. Eigentlich dürfen sie mit diesen Eigenschaften nicht mal in die Politik (…). Frauen verfügen nicht nur über Empathie, sie sind auch gebildeter, intelligenter, sozialer, vorausschauender, ja im Grunde bessere Menschen.
Männer vernichten die Welt: ob Waldabholzung, kranker Fleischkonsum, der zum Treibhauseffekt beiträgt, fahren Spritschleudern, verbrauchen in ihrer Gier sämtliche Ressourcen, als gäbe es kein Morgen.
Ich wollte diesen Beitrag verfassen, um euch zu erinnern, wer für das Übel dieser Welt verantwortlich ist.“
Diskriminierung als Mann?
Es ist nicht schwer, in Internetforen derartige Einträge zu finden. Was macht das mit uns, insbesondere wenn wir dann noch z.B. im „Spiegel“ belehrt werden, dass ein Mann in dieser Welt zwar alles haben, aber niemals als Mann diskriminiert werden kann?
Die Reduktion auf bestimmte gesellschaftliche Rollenbilder und Funktionen gilt bei Frauen zurecht als Diskriminierung. Gilt das für Männer nicht, weil sie per Mannsein mehr Macht besitzen? Immerhin sind die Männer, welche bei uns in Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Politik tatsächlich das Sagen haben, eine kleine Minderheit im Verhältnis zur Gesamtheit der Männer.
Diese Debatte ist heikel, anfällig für Missverständnisse, emotional aufgeladen und frustrierend, weil sie Gräben vertieft, wo Frauen und Männer gemeinsam am Bewusstseinswandel arbeiten könnten. Eine derartige Frustration war wohl einer der Impulse, die Eilert Bartels dazu angeregt haben, einen ganz anderen Weg einzuschlagen. Für sein Projekt „huMANNoid“ und das gleichnamige Buch bat er 16 Männer (sich selbst eingeschlossen), sich nackt zu offenbaren, und zwar sowohl körperlich als auch verbal.
Männer vollkommen nackt
Herausgekommen ist ein im doppelten Sinne gewichtiges Buch. Leserinnen und Leser sind eingeladen, sich von der Offenheit ganz unterschiedlicher Männer berühren zu lassen. Sie sprechen über ihren Körper, ihre Gefühle, ihre Beziehungen, ihre Sexualität, ihre Erfahrungen mit Gewalt – sowohl als Opfer als auch als Täter – und nicht zuletzt über ihre Träume und Visionen von einem erfüllten Leben als Mann. Darüber hinaus haben sie sich vor der Kamera ausgezogen und präsentieren sich vollkommen nackt der Öffentlichkeit.
Mich hat das Buch auf vielfältige Weise berührt. Es war anfangs gar nicht leicht, mich auf die Fotos einzulassen. Will ich diese Männer wirklich nackt sehen? Kann ich so zu ihnen in Beziehung treten? Dabei haben mir dann vor allem die Interviews geholfen und der jeweilige Mut, sich auch auf dieser Ebene ungeschminkt mitzuteilen.
Oft fühlte ich mich an die Interviews erinnert, die wir für das Buch Lustvoll Mannsein geführt haben. Eine typische Rückmeldung lautete: Das sind doch keine normalen Männer. Die haben in Männergruppen, im Tantra, in Körper- und Selbsterfahrung an sich gearbeitet. Es sind reflektierte und sich ihrer Gefühle bewusste Männer, ihr Spektrum ist nicht repräsentativ. Genau das ließe sich auch über die Männer sagen, die sich für huMANNoid interviewen ließen. Die meisten von ihnen sind z.B. in ihrer Sexualität weder auf Penetration noch auf ihren Orgasmus fixiert, viele haben sich dem Schmerz alter Verletzungen gestellt und sich von üblichen Männlichkeitsmythen weit entfernt. Und es sind auch einige Tantra-Erfahrene dabei. Es sind eher Ausnahmemänner.
Wir alle haben die Chance, uns weiter zu entwickeln
Aber schmälert das die Bedeutung der These, die eigentlich eine schlichte Tatsache ist, nämlich dass Männer – genau wie Frauen – Menschen sind? Ich meine nein, denn es gehört zu unserem Menschsein, dass wir freudvolle und schmerzhafte Erfahrungen machen und mehr oder weniger in unseren Prägungen gefangen sind, aber die Chance haben, aus festgefahrenen Mustern herauszuwachsen und uns weiter zu entwickeln.
Wer dieses Potenzial in Männern oder auch in sich selbst – welchem Geschlecht auch immer wir uns zugehörig fühlen – beflügeln möchte, der- oder diejenige findet in diesem Buch reichhaltige und wertvolle Anregung. Mein Dank gilt allen, die sich darin so mutig zeigen. Mit eurem Mut zu Verletzlichkeit und Differenzierung verbinde ich eine Hoffnung, die auch den Autor umtreibt: Dass wir Grabenkämpfe und Schattenboxen vielleicht eines Tages hinter uns lassen können.
Eilert Bartels: huMANNoid – Männer sind Menschen
ISBN 978-3-943622-38-6 * 334 Seiten * 39,95 € (D)