Sind Männer sexuell einfacher gestrickt?

katrin_matthias_03Männer wollen alle nur das Eine, besitzen nur eine erogene Zone und ticken außerdem ähnlich wie Hunde. Männer sind halt sexuell etwas einfacher gestrickt. Das wird zumindest immer wieder behauptet, im privaten genauso wie im öffentlichen Raum und nicht zuletzt auch von Sexualforschern. Aber stimmt das überhaupt? Dieser eingängigen These liegen nämlich einige höchst zweifelhafte Auffassungen zugrunde, die hier offengelegt und zur Diskussion gestellt werden sollen.

  1. Männer sind schneller erregbar und kommen regelmäßig durch Geschlechtsverkehr zum Orgasmus, Frauen brauchen länger und kommen oft gar nicht zum Höhepunkt. Diese Tatsache dient häufig als entscheidendes Argument dafür, dass Männer sexuell einfacher gestrickt sind als Frauen, die dagegen als rätselhaft bis kompliziert gelten.

Schnelle Erregbarkeit Doch das Argument sticht nur, wenn man aus der Fähigkeit von Männern, leicht erregbar zu sein und schnell zu einem Höhepunkt zu kommen, eine Vorliebe oder gar einen Zwang ableitet. Letzteren gibt es tatsächlich, er gilt aber als Funktionsstörung („ejaculatio praecox“), ist also gerade kein Merkmal genuiner Männlichkeit, sondern dessen Einschränkung. Männer, die sich und ihren Körper gut kennen, können teilweise stundenlang auf Wellen der Erregung „surfen“, können verschiedenartige Orgasmen haben, erleben Ejakulation und Orgasmus nicht als das Gleiche und schätzen ganzkörperliches Lustempfinden mindestens ebenso wie einen fulminanten Höhepunkt.

  1. Männer reagieren leicht auf optische Reize, schauen massenhaft eintönige Pornografie und besuchen Prostituierte, während Frauen in der Wahl erotischer Auslöser und Sexualpartner wesentlich anspruchsvoller sind.

Auch dieser Sachverhalt wird meistens dahingehend interpretiert, dass Männer nach einem einfachen Reiz-Reaktionsschema funktionieren, während Frauen komplexere Bedürfnisse haben, indem sie bei Pornografie auf einen einfühlbaren Kontext wert legen und Liebe und Sex weniger zu trennen vermögen. Bei letzterem handelt es sich also um ein Unvermögen. Umgekehrt könnte man also sagen: Männer vermögen auf rein visuelle Reize anzuspringen und Liebe und Sex zu trennen, es handelt sich also zunächst um eine Fähigkeit. Ob und wie diese gewollt und gelebt wird und ob die Trennung von Sex und Herz für die betreffenden Männer (oder Frauen) erfüllend ist, ist eine andere Frage. Wenn jemand sich nur von Fastfood ernährt, wird dies wohl kaum als genuine Vorliebe oder gar genetische Programmierung verstanden, sondern eher als sozialisationsbedingte Einschränkung des kulinarischen Erlebnishorizonts. Analog könnten wir behaupten: Männer begnügen sich mit Junksex, weil sie es nicht besser kennen, weil sie sich ihrer Sexualität schämen, weil sie es sich so antrainiert haben oder weil sie dies überall als typisch männlich beschrieben finden. Wenn sie einmal Gourmetsex kennen gelernt haben, werden sie sich erotisch wahrscheinlich nicht mehr ausschließlich von „Currywurst“ und „Hamburger“ ernähren wollen.

  1. Männer sind von Natur aus auf einfachen und schnellen Sex programmiert. Diese These wird direkt oder indirekt aus Erkenntnissen unterschiedlichster wissenschaftlicher Fachrichtungen abgeleitet, wie z.B. aus der Evolutionsforschung, Archäologie, Physiologie oder Psychoanalyse. Jede dieser „Erkenntnisse“ steht, wenn man näher hinschaut, auf tönernen Füßen und erst recht deren populärwissenschaftliche Verbreitung.

Wie bei den Bienena) Männer maximieren ihren Fortpflanzungserfolg, indem sie ihre Spermien möglichst breit streuen, also so viele Frauen wie möglich schwängern. Alles andere ist ihnen egal. Darwinistisch gedacht klingt das überzeugend, aber es gibt da einige Fakten, die diese vermeintliche Eindeutigkeit trüben: Warum konnte Homosexualität bei vielen Tierarten wie auch beim Menschen überleben, obwohl sie sicher keinen direkten Fortpflanzungserfolg zeitigt? Wieso gibt es überhaupt monogame Tierarten und gilt Monogamie nicht nach wie vor als dominierendes Beziehungsideal beim Menschen? Ganz so einfach, wie sich das die Evolutionsforscher vorstellen, ist es offenbar nicht.

b) Oft muss, wie im Theaterstück Caveman, die Steinzeit der Jäger und Sammler herhalten, um Geschlechterstereotypen zu begründen. Der Mann musste qua größerer Muskelkraft auf die Jagd, die Frau qua Gebärfähigkeit am Herd bleiben, so die Logik. Ausgedehnter Sex in der Wildnis war für den Mann lebensbedrohlich, die Frau jedoch musste den Mann tiefer an sich binden, um ihn als Ernährer und Beschützer zu halten, und dafür brauchte es mehr, als sich kurz von ihm begatten zu lassen. Klingt wiederum zunächst einleuchtend. Inzwischen hat die neuere Archäologie allerdings entdeckt, dass es sich bei den Geschlechterstereotypen der Steinzeit eher um Projektionen von Forschern und Fantasten als um bewiesene Tatsachen handelt. Als exemplarischer Beleg für solche Mechanismen mag der inzwischen enttarnte Zirkelschluss dienen, bei dem Waffen als Grabbeigaben zunächst als Beweis dafür herhielten, dass es sich um ein männliches Skelett handelte, um dann später aus den typischen Grabbeigaben von männlichen Bestatteten deren Tätigkeit als Krieger und Jäger abzuleiten. Es ist peinlich, aber so funktioniert teilweise die Wissenschaft: Man „beweist“ seine eigenen Vorannahmen.

c) Dass Männer in der Regel einen höheren Testosteronspiegel aufweisen, ist unumstritten. Auch dies galt lange als Beleg dafür, dass ein höheres Aggressionspotenzial und größere Libido Merkmale des männlichen Geschlechts seien. Männer sind hormonell bedingt konkurrente, technikaffine Einzelkämpfer, Frauen aufgrund ihres höheren Oxytocinspiegels eher beziehungsorientiert und friedliebend. Das klang wiederum plausibel bis bekannt wurde, dass Testosteron auch ganz andere Wirkungen hat. In einem aufschlussreichen Experiment verhielten sich Frauen, die glaubten, Testosteron bekommen zu haben, statistisch signifikant konkurrenter, während Frauen, die tatsächlich Testosteron bekommen hatten, sich noch kooperativer verhielten als der Durchschnitt. Der Ruf von Testosteron als Agressionsauslöser ist ein Selbstläufer, die tatsächliche Wirkung etwas ganz Anderes. Verhält es sich grundsätzlich so mit den Merkmalen von Männlichkeit? Entpuppen sie sich womöglich weitgehend als sich selbst erfüllende Prophezeiungen?

d) Aus der Psychoanalyse kennen wir die Interpretation von Männlichkeit als entwicklungspsychologisch notwendiger Abgrenzung des Jungen von seiner Mutter. Er muss anders werden als sie, sonst bleibt er in ihrem Bann und wird kein richtiger Mann. Mädchen brauchen das nicht, denn sie bleiben ja weiblich.

Beim näheren Betrachten entpuppt sich auch diese Interpretation als Zirkelschluss. Die Annahme, ein Mann müsse sich für eine gesunde Identität von weiblichen Eigenschaften abgrenzen, setzt schon voraus, was sie beweisen will, nämlich dass Männer grundsätzlich andere Eigenschaften aufweisen als Frauen. Wie verhielte es sich in einer Kultur, in der es Männer wie Frauen – jenseits jeder Diskriminierung –vollkommen frei steht, alle als weiblich oder männlich geltenden Eigenschaften in ihrem individuellen Mischungsverhältnis zu entwickeln? Ein Junge müsste sich dann eben nicht auf stereotype Weise von seiner Mama abgrenzen, um eine Geschlechtsidentität zu entwickeln, nicht mehr jedenfalls als ein Mädchen. Beide lernen von Mama und Papa und vielen anderen Vorbildern und werden sich für ihre Individualität später von ihnen abgrenzen müssen. Natürlich werden sie auch von anatomischen, physiologischen und hormonellen Faktoren beeinflusst, aber diese brauchen keinerlei zusätzliche ideologische Fürsprache wie „Wenn du ein Mann sein willst, dann reiß dich zusammen, setz dich durch und heul hier nicht rum!“(Kurz: „benimm dich testosteronkonform!“) Solche Ermahnungen lassen ahnen, dass berechtigte Zweifel an der Wirkung der Hormone bestehen.

Fassen wir zusammen: Bestimmte Eigenschaften, die dem Mann qua Geschlecht zugeordnet werden, entpuppen sich bei näherer Betrachtung mehr als Begrenzung dessen, der diese zuordnet, anstatt des Mannes an sich. Die Interpretation, dass Männer einfach gestrickt seien, fällt auf die Interpreten selbst zurück. Sie sind es, die zu einfach gestrickt langlebigen Mythen aufsitzen.

Inzwischen bekommen Experten zunehmend Gegenwind, wenn sie diesen Mythos weiter verbreiten. In einem Interview auf ZEIT-Online mutmaßt der Sexualforscher Prof. Dr. Ulrich Clement u.a., es sei noch immer etwas dran an dem Satz „Der Mann hat nur eine erogene Zone“. Auf die Nachfrage der Interviewerin: „Unterstellen wir der männlichen Sexualität damit nicht, allzu simpel zu sein?“ antwortet Clement: „Ich versuche, mich dagegen zu wehren. Aber sie ist vielleicht tatsächlich einfacher als die der Frau.“

Sowohl auf Facebook als auch bei Zeit-Online gab es neben mancher Zustimmung einen Sturm der Entrüstung, vieles davon ist nicht seriös zitierbar. Manche nahmen es dagegen mit entwaffnendem Humor wie ein gewisser „Ascag“, der ein Zitat des Zeichners Scott Adams aus dem Gedächtnis rekonstruiert:

Natürlich sind Männer einfacher als Frauen. Man schaue sich nur die Werbung an. Werbung für Männer ist das einfachste der Welt. Man muss nur suggerieren ‚Wenn ich dieses Produkt konsumiere, bekomme ich Sex mit einem vollbusigen Supermodel.‘ Frauen fallen auf sowas natürlich nicht rein. Frauen sind vielschichtiger und komplizierter. Insbesondere muss auf Frauen zugeschnittene Werbung vermitteln: ‚Wenn ich dieses Produkt konsumiere, werde ich ein vollbusiges Supermodel‘.

Es ist Zeit, das Bild von Männern und männlicher Sexualität zu differenzieren. Erstens sind Männer unterschiedlich. Zweitens sagt das statistisch belegbare Durchschnittsverhalten von Männern, das die Grundlage vieler sogenannter wissenschaftlicher Erkenntnisse bildet, nichts darüber aus, was in diesem Verhalten zum Ausdruck kommt. Sind es biologische Konstanten, archetypische Geschlechtsmerkmale, gesellschaftliche Konditionierungen oder erotische Vorlieben? Ich tendiere zu dieser Deutung: Im Durchschnittsverhalten von Männern wie von Frauen zeigen sich die durch vielfältige Faktoren beeinflussten geschlechtsbezogenen Normen einer ganzen Kultur. Über das Potenzial des einen oder anderen Geschlechts sagen sie nichts aus, denn Potenzial ist per definitionem mehr als das, was normalerweise gelebt wird.

Lustvoll Mann sein CoverMich interessieren reizvolle Möglichkeiten mehr als ein langweiliger Durchschnitt. Über das Potenzial männlicher Sexualität mehr zu erfahren, war Ausgangspunkt und Anliegen für unser Buch Lustvoll Mann sein – Expeditionen ins Reich männlicher Sexualität, das kürzlich bei Kamphausen erschienen ist. Anstatt auf der Basis statistischer Erhebungen einen Normalmann zu konstruieren, den es leibhaftig gar nicht gibt, haben wir Männer interviewt, die ganz bewusst die eine oder andere Norm männlicher Sexualität hinter sich gelassen haben. Solche Männer sollten auch in den Blick der Sexualwissenschaft geraten, wenn sie nicht nur den Status quo fortschreiben will.

Die Sexualwissenschaft hatte mal den Anspruch, emanzipatorisch zu wirken. Das klingt antiquiert. Aber dürften Sexualforscher nicht etwas neugieriger sein? Sie sind keine objektiven Beobachter, sondern – ob sie wollen oder nicht – Mitakteure in der gesellschaftlich-kulturellen Gestaltung der Sexualität. Um Sexualforscher zu sein muss niemand studieren oder ein Diplom ablegen. Männer wie Frauen sind sexuelle Wesen und daher ganz naheliegend zuallererst ihr eigenes Forschungsobjekt. Und Subjekt. Auf diese Weise können Männer die Vielfalt und den Reichtum ihrer männlicher Sexualität selbst entdecken und dabei mit einem Augenzwinkern den Mythos, Männer seien einfacher gestrickt, lustvoll hinter sich lassen.

Über Saleem Matthias Riek

Saleem Matthias Riek ist Heilpraktiker mit dem Schwerpunkt Paar- und Sexualtherapie, Tantralehrer, Diplom-Sozialpädagoge und lebt bei Freiburg im Breisgau. Saleem ist Autor mehrerer Bücher rund um Lust und Liebe, Tantra und Spiritualität. Bisher erschienen sind "Herzenslust" (auch als Hörbuch), "Leben, Lieben und Nicht Wissen", "Herzensfeuer", "Lustvoll Mann sein" und "Mysterien des Lebens". Weitere Bücher sind in Vorbereitung, u.a. eine Romantrilogie.
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2 Antworten zu Sind Männer sexuell einfacher gestrickt?

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